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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: El mir Bourges
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Einfluss auf ihn hatte. Er sagte kein Wort und ließ die Vorwürfe über sich ergehen. So verstärkten sich Kummer und Tränen im selben Maß, wie die Zeit verstrich, ohne dass sich irgendetwas änderte, und die arme Italienerin wurde immer magerer.
    Sie schrieb der mamaccia , um fromme Geheimnisse zu erfahren, Gebete, die man dreimal aufsagt und die von unfehlbarer Wirksamkeit waren. In Begleitung Teresinas konsultierte sie «Seherinnen», doch die Tarotkarten sagten stets eine «erzwungene Trauer» voraus. Sie nähte magischen Krimskrams in ein Säckchen, dessen Zusammenstellung einen Zauber bewirkte; doch wie sollte man dem Grafen das fertige Anhängsel umlegen? Und so war das Säckchen zu nichts nütze. Am nächsten Tag warf sie, als es Mitternacht schlug, vier Kartenspiele in ein loderndes Feuer, mit den Worten: «Ich entsage dir, Herz!», «Ich entsage dir, Pik!», «Ich entsage dir, Karo!», «Ich entsage dir, Kreuz!»
    Doch das änderte nichts, und Franz fuhr fort zu spielen. Wenn sie doch wenigstens in ihrer Umgebung ein wenig Trost gefunden hätte! Aber der liebe Bruder Arcangeli zuckte zur Antwort auf ihre Klagen nur bedauernd mit den Schultern; Augusta, Franz’ Mutter, die immer fetter wurde und allmählich an ein Walross erinnerte und die das Alter zugleich zänkischer und visionärer machte, weigerte sich, Frieden zu schließen, und erging sich in weitschweifigen Reden über diese unverschämte Heirat; und Christiane schließlich, von der die arme Törin sich ebenfalls Hilfe erhofft hatte, versteifte sich darauf, unsichtbar zu bleiben und ihr Gemach für alle verschlossen zu halten.
    Denn erst zu dieser Zeit begann Christiane die härtesten und verletzendsten Auswirkungen des Verlusts von Hans Ulrich zu empfinden. Bis dahin war ihr Schmerz eher eine Art Bedrückung gewesen, wie ein langer und schrecklicher Traum, in dem sich nur ein dunkler Rest von Leben regte. Plötzlich fand sie sich, die Unglückliche, mit diesem Stachel im Herzen wieder. O weh! Zu stark zum Sterben und zu schwach zum Vergessen, war sie nun zum Leben verdammt; sie würde auf ewig ihre Sühne mit sich schleppen, und ihre Augen würden nichts wahrnehmen außer Finsternis und Gespenstern: Immer sah sie Hans Ulrich vor sich – an dem Tisch, an dem sie las, in der Kaminecke, wo sie saß, an ihrer Seite, wohin sie auch ging. Und doch konnte sie sich die Züge dieser Spukgestalt, von der sie besessen war, nicht mehr vergegenwärtigen; es war nur eine undeutliche Form. In der Nacht, wenn sie von Hans Ulrich träumte, sah sie immer nur seinen Hinterkopf.
    Der Überdruss verzehrte sie, Gewissensbisse vernichteten sie; das kleinste Geräusch, das Wetter, die langen Tage, alles quälte sie. Zurückgelehnt in ihren großen Sessel betrachtete sie mit leerem Blick die rötlichen Holzscheite im Kamin, den trüben Himmel voller Wolken hinter den bestickten Vorhängen, dann nahm sie ihre Lektüre wieder auf. Doch so tief die Abgründe auch waren, in denen sie ihr Denken zu begraben suchte, ließ der brennende Schmerz in ihrem Herzen deshalb nicht nach. Manchmal riss mit einem langen Seufzer eine Saite an einer der kostbaren Lauten und Violinen, die die Wände schmückten, und Christiane erschauerte und spähte im Zimmer umher. Sie war plötzlich zum Opfer unerklärlicher Schrecknisse geworden; sie fürchtete, die Decke könnte plötzlich über ihrem Kopf zusammenstürzen oder eines der schweren, über den Türen eingelassenen Flachreliefs aus Emaille könnte sich von der Wand lösen und sie zerschmettern. Sie erschauerte, flüchtete, mit kaltem Schweiß bedeckt, und warf sich anschließend vor, noch am Leben zu hängen.
    Doch was wäre denn ihr Schicksal als Tote? – «Ich bin verdammt», wiederholte sie sich, und die Hölle würde sich unter ihren Füßen öffnen. Sie spürte deren Schrecken, das lodernde, verschlingende Feuer, das heisere Gebrüll der Verdammten, die grauenhafte Tiefe der Finsternis und der Unterwelt. Ihre Gedanken verweilten bei den Dämonen; sie wäre gern einer von ihnen gewesen, denn sie sind nur Schinder, und die Peiniger leiden gewiss weniger als die Gequälten.
    In solchen Momenten kamen oft Pater Le Charmel und die Prinzessin von Hanau vorbei; und ihr leidenschaftliches Wesen bezwingend, nahm sich Christiane mit furchtbarer Anstrengung zusammen. Sie versuchte, bei den Worten des Paters ihre Seele zu Gott zu erheben, doch ihre entsetzlichen Gedanken gönnten ihr keine Ruhe. – Ja! Ihre Sünde war zu groß, da war kein

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