Goetterdaemmerung - Roman
Erbarmen für sie. Und da sie sowieso verdammt war, konnte sie ohne Furcht sündigen, ihrer Seele so viel Nahrung geben, wie sie wünschte. Also hörte sie nicht mehr auf die Vorhaltungen, sondern dachte an Hans Ulrich, stellte sich sein so liebes Bild vor, beschwor die glühendsten Erinnerungen ihrer Liebe herauf, das Duett von Sieglinde und Siegmund, die Küsse ihrer letzten Nacht, und empfand mit jedem weiteren Gedanken an ihren Frevel eine wachsende köstliche Wollust des Schreckens, über die sie ganz außer sich geriet.
Und dennoch vollzog sich zwischen ihren Krisen und Leiden das große Werk ihrer Bekehrung. Von Tag zu Tag neigte sich ihr Herz mehr und mehr der Religion zu, die voller tröstendem Schmerz war, und von einer so süßen Traurigkeit, dass sie alle Übel linderte. Ein Hoffnungsstrahl stahl sich allmählich in ihre Seele. Wenngleich sie sich weiterhin als verworfene Person betrachtete, fast ohne Hoffnung auf Erlösung, so wusste Christiane doch, dass ihr «sowohl ihre eigene große Not als auch Gottes große Milde» blieb, wie Pater Le Charmel zu sagen pflegte; und bei dieser Vorstellung wurde sie von einer Freude und Wärme erfüllt, die ihr Innerstes bewegten. Arme, nach Verzeihung dürstende Seele! Wie sie weinte, als sie die zärtlichen Worte des Priesters hörte: «Veni, columba te vocat, gemendo, te vocat» , sagte er zu ihr, womit er den heiligen Augustinus zitierte: «Komm zu uns, komm zur Kirche, mein Kind; die Taube ruft dich und möchte dich seufzend zu uns holen.» 142 Aber auch wenn sie sich tagsüber nun weniger elend fühlte, so blieben ihre Nächte doch entsetzlich. Kaum hatte sie die Süße des ersten Schlafs genossen, erwachte sie bereits wieder, ganz erfüllt von Hans Ulrich. «Wenn es so weit kommt, dass ich seinen Namen rufe, bin ich verdammt», sagte sich Christiane. Sie krallte sich an den Laken fest, keuchend, das Gesicht im Kopfkissen vergraben, doch dann richtete sie sich auf und schrie: «Hans Ulrich! Hans Ulrich!»
Sie verharrte reglos, hörte ihr Herz klopfen. Und eine Stimme in ihr wiederholte: «Ich bin verdammt, ich bin verdammt», bis die Unglückliche endlich in eine Ohnmacht fiel, in der alle Farbe, alle Wärme und der Atem aus ihr wichen.
Doch nicht deshalb warf sie sich zu Füßen des Herrn nieder, vielmehr wurde Christiane durch etwas weit Kostbareres für den Glauben gewonnen, die Hoffnung nämlich, dass die Strafe vielleicht nicht ewig währen würde, dass nicht alle Sünder verdammt seien und dass das Fegefeuer auf jene Seelen wartete, die eher schwach als schuldig gewesen waren. An dem Tag, an dem Pater Le Charmel ihr die wahre katholische Lehre zu diesem Thema darlegte, wurde Hans Ulrichs Schwester bekehrt und ihr Herz von einem impulsiven und beglückenden Glauben erfüllt. Da ihr Bruder nun nicht verdammt war und sie sich daher in aller Frömmigkeit sowohl ihm als auch dem Herrn widmen konnte, stand ihr Entschluss fest: Sie würde ihr Leben der Aufgabe weihen, Hans Ulrich durch Buße von ihrem gemeinsamen Frevel zu erlösen. Ja, sie würde ins Kloster eintreten. Was täte sie von nun an denn auch auf den großen und weiten Wegen der Welt, die nur ins Verderben führen? Besser wäre es, einen Unterschlupf zu suchen unter der erhobenen Rechten des Retters. Im Übrigen wurde das Hôtel Beaujon wegen der Skandale und Verrücktheiten, die sich der Herzog täglich dort leistete, ohnehin allmählich unbewohnbar.
Wie es zu dem Zerwürfnis zwischen Seiner Hoheit und Lyonnette gekommen war, ließ sich nie genau aufklären. War die Verstimmung wegen der Visage eines der Hundeaufseher am Zwinger entstanden, dem die Nymphe eine ganz besondere Liebenswürdigkeit bezeugte, wie es hieß? Oder konnte der Herzog die Ausbrüche frechen Gelächters nicht mehr ertragen, mit denen sie sich über ihn lustig machte, sobald er sprach? Der Fall blieb im Dunkeln; dagegen war es sonnenklar, aus welchem Grund Graf von Oels eines schönen Morgens Seiner Hoheit mitteilte, dass er Fräulein Renz heiraten werde.
«Was! Sie verlassen mich auch!», rief der Herzog bewegt aus …
Schmerzlich berührt verzog der Kammerherr die Augenbrauen. Alles hatte ihn an dieser Hochzeit gereizt, die er seit dem Tag, an dem Lyonnette ins Palais gekommen war, ins Auge gefasst hatte: das Vermögen dieser Frau, der Unterschied, den es bedeutete, der Gnade des Herzogs ausgeliefert oder aber Herr und Meister im eigenen Haus zu sein, und vielleicht auch die Niedertracht, die an diese Eheschließung
Weitere Kostenlose Bücher