Goetterdaemmerung - Roman
Schwindelanfälle herausgenommen hatten, brachte Karl von Este wieder zu sich, indem er ihnen volle Wassereimer ins Gesicht kippen ließ – außerdem wurden sie noch am selben Tag entlassen. Gut kamen noch die weg, deren sich Seine Hoheit ehrenvoll entledigte, indem er ihnen irgendwelche geschäftlichen Brosamen hinwarf, etwa zweifelhafte Schuldforderungen oder noch offenstehende Beträge aus Prozessen oder Bankrotten, die es einzutreiben galt – und damit dann viel Glück und adieu!
Er begann nun endgültig den Verstand zu verlieren; sein Stolz, dieses tief verwurzelte Laster, aus dem alle anderen Laster des Herzogs rührten, wurde, sofern überhaupt möglich, noch anmaßender als zuvor. Am Neujahrstag weigerte er sich hartnäckig, dem Kaiser in irgendeiner Weise seine Aufwartung zu machen, und es fehlte nur wenig, dass er ihn einfach «Buonaparte» genannt hätte. War er früher so höflich gewesen, dass er vor jeder Frau den Hut zog, sogar vor den Gärtnerinnen in Wendessen, rühmte er sich nun, die frühere Königin Isabella von Spanien öffentlich beleidigt zu haben, indem er sich auf einem Flur in der Oper brüsk abwandte. Sein Leben war nichts weiter als eine Mischung aus höchst eitler Pracht und niedrigster Liederlichkeit. Wenn er nicht gerade mit Giovan und seinen Lakaien Possen riss oder seiner Mätresse befahl, sich nackt auszuziehen, schloss er sich in seiner Galerie ein, um die Königs- und Kaiserporträts seiner Vorfahren zu studieren. Karl von Este gähnte, langweilte sich, wusste nicht mehr, was er sich noch einfallen lassen sollte. Bis zum Überdruss übersättigt von allem, empfand dieser Geizkragen nicht einmal mehr Freude dabei, seinen Tresorschrank zu betrachten: «Pah! Eines Tages werde ich meine Diamanten verkaufen …», antwortete er auf Van Moppes’ bewundernde Ausrufe.
Seine Mätresse war zu jener Zeit eine gewisse Miss Sinclair, eine recht hübsche Abenteurerin mit glänzenden schwarzen Augen, wunderschöner Haut und kurzem Lockenhaar, das verhinderte, dass man gar zu deutlich die stumpfe Nase und den Totenschädel wahrnahm, dem ihr rundes Gesicht trotz der Schminke glich. Dieser hochmütige Fürst erniedrigte sich zu gemeinsamen Mahlzeiten mit ihr und undurchsichtigen Halunken, Pferdetrainern, Zuhältern, Messerstechern, was vor allem dem Silbergeschirr schadete, weil jedes Mal ein Teil fehlte. Die köstliche Mahlzeit wurde im Gemach Herzog Karls von einem der Köche von Potel oder dem «Café Anglais» 143 zubereitet, und Miss Sinclair und Seine Hoheit höchstpersönlich legten manchmal mit Hand an und tummelten sich zwischen den Öfen. Man trank, zerschlug die Töpfe, man sang aus voller Kehle, und sogar der sonst so nüchterne Herzog berauschte sich jeden Abend am Wein. Wenn man nicht mehr konnte, ging man schlafen, und am nächsten Tag begann das Fest aufs Neue.
Im Palais ging alles drunter und drüber. Die Gläubiger kamen scharenweise, freche Diener prügelten sich, in den Gängen waren die knarrenden Stiefel von Unbekannten in Uniformjacken zu vernehmen, und eines schönen Abends schließlich waren sämtliche Fransen und Goldborten in der Arazzi-Galerie 144 zerschnitten. Die durchgeführten Untersuchungen brachten lediglich eine ganze Reihe weiterer kleiner Diebereien ans Licht, die bisher niemand bemerkt hatte. Also wurden die Silberspiegel, die Schmuckstücke und die Kuriositäten, die man hier und da auf den Tischen ausgebreitet hatte, wieder weggeräumt; weiter geschah nichts, und als die erste Überraschung vorbei war, wurde die Sorglosigkeit nur umso größer. In den weitläufigen Gemächern pfiff der Wind durch die zerbrochenen Fensterscheiben, Parkettstäbe waren vom Regen verfault, Staub lag dickflockig in den von Spinnweben schwarzen Ecken, aus aufgedrehten Badewannenhähnen strömte unaufhörlich Wasser und überschwemmte einmal mehrere Säle, und als ob er sich selbst übertrumpfen wollte, wurden die Extravaganzen des Herzogs zu dieser Zeit täglich raffinierter. So hatte er doch tatsächlich den Einfall, so zu tun, als wäre er eifersüchtig auf Miss Sinclair, weshalb er sie jeden Morgen in Männerkleidung steckte und ihr einen Schnurrbart anklebte …! Kurz, so ging es weiter, bis Karl von Este eines Tages beim Aufstehen kein Hemd mehr zum Wechseln hatte und der Wagen am Abend gute zehn Minuten vor dem Tor des Palais wartete, weil sich weder der Pförtner noch ein einziger Lakai einfand, um ihm zu öffnen.
Am folgenden Tag schrieb der Herzog gleich nach dem
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