Goetterdaemmerung - Roman
hellen Gaslampen an den fünf Bergkristalllüstern zu entzünden, die in der Mitte der Kuppeln hingen, dann trat er ans Fenster. Regen ergoss sich in Strömen aus einem tief hängenden, düsteren Himmel. Unter diesem Sturzbach zog in der Ferne ein Regiment vorbei; es war auf dem Weg zu irgendeinem Bahnhof, denn vor drei Tagen hatte man Preußen den Krieg erklärt. Einen Augenblick lang erblickte man die schlaff herabhängende Fahne, die langen, kaum zu unterscheidenden Reihen; dann schloss Giovan die mit Flockseide abgedichteten Eisenläden.
«So», sagte Seine Hoheit, «jetzt sind wir unter uns; Giovan, kümmere dich um meine Toilette.»
Also nahm Karl von Este, während draußen das Gewitter tobte, in einem großen Sessel aus karmesinrotem Samt mit Goldfransen und vergoldetem Holzwerk Platz wie ein Mann, der seine Rasur erwartet. Derweilen rollte der Italiener eine der bemalten Wachsbüsten herbei, die von einem Postament aus karmesinrotem Samt mit Fransen getragen wurde und ihrem Vorbild so gut nachempfunden war, dass man das Original kaum von der Kopie unterscheiden konnte, sah man beide nebeneinander; dann setzte sich Arcangeli dem Herzog gegenüber, öffnete sein Lackierkästchen und begann seinen Herrn zu schminken. Mit Hilfe von Farben, die er mit ein wenig Traganth 162 verdünnte, und von Pastellkreiden stellte er die verwischten Gesichtszüge Karl von Estes wieder her; doch zitterten seine Hände an jenem Tag fürchterlich, und so grenzte es gewissermaßen an ein Wunder, dass der Behandelte sein Augenlicht rettete.
«Ein bisschen mehr Karmesin auf die Wange … der Brauenschwung ist zu hart … Aber was ist denn mit dir los? Du scheinst ja gleich den Kopf zu verlieren!», rief der Herzog wütend. Die von allen Seiten auf ihn gerichteten Wandfackeln ließen sein sonderbar rosiges Gesicht noch blühender erscheinen, das die Spiegel in unendliche Fluchten vervielfältigten, das Zimmer und die Menschen aber in den Hintergrund treten ließen. Die Donnerschläge wollten gar nicht enden, das ganze Dach des Palais erdröhnte unter einem wütenden Regenschauer. Und Giulia sagte, ebenso wie Otto, nichts mehr.
Woran dachten sie in diesen letzten Minuten, am Rand des Abgrunds, der sich vor ihnen geöffnet hatte? Sein Blick war nach innen gekehrt, finster und wild, auf seinem glühenden Gesicht zeigten sich helle Flecken, und immer wieder verzog es sich, als wollte er eine lästige Wespe verscheuchen; die leichenblasse Giulia hingegen wirkte hochmütig und gefasst. Vielleicht wurde ihr Herz in diesem schrecklichen Augenblick von Entsetzen gepackt, vielleicht wurden sie von Grauen durchdrungen, von Reue über sich selbst. Da sie jedoch keinerlei Zögern kannten, nicht von Gewissensbissen durchbohrt wurden und ihr Verbrechen sie nicht schreckte, obwohl sie vom Herzog so viele Wohltaten empfangen hatten und nur wenige Jahre noch hätten warten müssen, um ans Ziel ihrer Wünsche zu gelangen, ist man doch versucht, an ein Eingreifen des gefallenen Engels zu glauben, das keine Philosophie je wird erklären können.
«Giulia», sagte der Herzog plötzlich, «würden Sie mir wohl meine Konfektschale reichen …» Er nahm eine Orange in die Hand, und man wird nie ergründen, ob es nun Zufall war oder ob er Arcangelis Warnung doch verstanden hatte, jedenfalls rief er: «Hopp, César …! Da, für dich, César!»
Der Windhund fing die Orange mit offenem Maul auf, doch kaum hatte er sie zerbissen, sank er schwerfällig zu Boden und war sofort tot.
«Oh! Oh! Was ist denn das?», fragte der Herzog, der sich, blass vor Erregung, aber äußerlich unbewegt unter all der Schminke in seinem Gesicht, zu voller Größe aufrichtete; gleichzeitig erhoben sich Otto und die Belcredi.
«Der arme César!», sagte sie in ihrer Anspannung. «Was ist ihm nur zugestoßen?»
«Diese Früchte enthalten etwas Gefährliches», fuhr Karl von Este mit rauer Stimme fort.
«Ach!», erwiderte die Belcredi. «Ihr sucht immer Streit mit mir, Monseigneur … Jetzt scheint Ihr mich zu verdächtigen.»
«Klagen Sie sich nicht selbst an», rief der Herzog aus.
«Monseigneur», gab Giulia zurück, «ich habe von ihnen gegessen, gerade eben habe ich von ihnen gegessen …»
«Giftmischerin!», schrie Karl von Este, unfähig, noch länger an sich zu halten. «Giftmischerin!»
Ein Pistolenschuss löste sich. Otto hatte von der Tür zum Korridor aus auf seinen Vater gezielt.
«Ah! Verräter!», heulte der Herzog auf, während er seinen Revolver aus der
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