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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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sich.
     
    Odin und Thor erwarteten Hugin bereits. Der Rabe landete etwas unsicher auf dem Tisch und legte die Flügel an.
    «Und?», sagte Odin.
    «Ääääh … tja. Ich habe die Namen, ja. Jaja.»
    «Raus damit.»
    Hugin überlegte fieberhaft und plapperte dann einfach heraus, was ihm durch den Kopf schoss. «Erstens … kühl hier, nicht? Äääh … erstens, ein Franzose, André Gilles, Zeitpunkt: 1514 , zweitens, eine Engländerin, Christie, Agatha, Zeitpunkt: 1915 , drittens ein Russe, Stalin, Josef …»
    «Josef Stalin?»
    «Äääh … ja, wieso nicht?»
    Odin runzelte die Stirn und brummte nachdenklich. Die Griechen waren schon ein ziemlich eigenartiges Volk. «Weiter», sagte er.
    «Weiter, ja», echote Hugin, der die Denkpause genutzt hatte. «Viertens ein Senegalese, Mobuto Umomo, aus einem kleinen Dorf bei … Tambacounda. 1981 .»
    «Das war’s?»
    «Das … äh, ja, das war’s.»
    «Seltsame Auswahl.»
    Hugin lief rot an und dankte Mutter Natur für die vielen schwarzen Federn, die sie ihm und seinesgleichen verliehen hatte. Er musste an seinen Bruder denken und ächzte kurz. Odin musterte ihn einige Sekunden lang argwöhnisch, schüttelte dann den Kopf und wandte sich an Thor.
    «Sohn?»
    «Ja, Vater?»
    «Hast du alles verstanden?»
    «Jedes Wort.»
    «Dann geh und schick diese Leute zu Hel.»
    «Ich dachte, ich sollte sie kaltmachen», murmelte Thor enttäuscht.
    «Wie bitte?»
    «Soll ich sie nun zu Hel schicken oder allemachen?»
    Odin atmete einige Liter Luft aus. «Mach sie alle, Thor. Mach sie einfach alle, und denk nicht weiter drüber nach.»
    «Alles klar.»
    Thor erhob sich, schulterte seinen Hammer und machte sich mit einem souveränen Abschiedslächeln in Richtung seines verzweifelten Vaters auf den Weg. Da er so nicht darauf achten konnte, wohin er ging, knallte er mit dem Kopf gegen den Türrahmen, prallte zurück und holte wütend mit dem Hammer aus.
    «Wer wagt es, sich mir in den Weg zu stellen, verflucht!»
    Bevor Mjölnir den Türrahmen atomisieren konnte, krachte der Hammerkopf mit lautem Donnern auf die Bodendielen. Thor wandte sich erstaunt nach seinem Vater um. Odin ließ seine Rechte sinken, und der Hammer wurde wieder leichter.
    «Nicht in meinem Haus», sagte er streng und bedeutete seinem Sohn mit einer gut dosierten Handbewegung, zu verschwinden. Thor schlich schweigend aus dem Turmzimmer.
    Odin stand auf und trat ans Fenster. Er sah hinaus in den wogenden Nebel und fragte sich, was dahinterliegen mochte. Eine laute innere Stimme warnte ihn davor, diesem Gedanken auch nur einen Millimeter weiter nachzuspüren.
    Hinter ihm, auf dem Tisch, hockte ein unter seinem Gefieder knallroter Rabe und hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen.
     
    Athene blinzelte in die Sonne und dachte möglichst vage an ihre Sterblichen. Konkreter an jene zu denken, wagte die Göttin nicht, da sie befürchtete, erwischt zu werden. Um diese Furcht vollständig zu begreifen, müsste man wohl einiges darüber wissen, wie göttliche Gehirne funktionieren. Da dies allerdings ein Thema ist, mit dem sich die skeptischere Hälfte der Menschheit bereits herumschlägt, seit sie nicht mehr mit allen vier Extremitäten auf dem Boden herumtappt (jedenfalls nicht ständig), wollen wir uns an dieser Stelle auf die weniger komplizierte Frage beschränken: Warum dachte Athene nicht konkret an ihre Sterblichen?
    Sie hatte gefahrlos an Erasmus denken und Dianas Bildschirm manipulieren können, solange kein anderer Gott auf die Idee hatte kommen können, ihren Gedanken zu folgen. Und auf diese Idee hatte keiner der anderen kommen können, solange diese anderen – mit Ausnahme ihrer Verbündeten und Lokis – felsenfest davon ausgingen, Athene denke an irgendwelche Ägypter oder Melchiors. Da nun zur Weisheit immer ein gewisses Maß an Intuition gehört und Athene ahnte, dass Zeus sich nicht allzu lange von ihrem Trick würde ablenken lassen, dachte sie also nur sehr vage an die Sterblichen. Was übrigens nicht so einfach ist, wie es klingt. Versuchen Sie mal, an etwas gerade so intensiv zu denken, dass es
nicht
vor Ihrem geistigen Auge auftaucht (nicht mal vor Ihrem geistigen Augenwinkel), dann wissen Sie, was die Göttin der Weisheit leistete.
    Athenes unbestimmtes Denken wurde indes plötzlich von einem Bild gestört, das mit gehöriger Vehemenz in ihr Bewusstsein drang. Sie verscheuchte es, indem sie sich weigerte, daran zu denken, aber das Bild kehrte nach einem kurzen Ausflug ins Unterbewusstsein

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