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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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ägyptischen Götter fühlten sich plötzlich entsetzlich schwach.
    Es gab allerdings auch weniger dramatische Tilgungen. Oder besser, Tilgungen, die weniger auffällig waren. Zum Beispiel die des Josef Jandl, eines übellaunigen bayerischen Almhirten, der in seinem gesamten Leben nur eine einzige gute Tat vollbracht hatte bzw. hätte, nämlich, seinen Cousin Xaver Mittenbichler in einem einmaligen Anfall von Menschenliebe zu überreden, dem Schnaps abzuschwören. Dass Jandl vor dieser noblen Tat verschwand, war für viele seiner Mitmenschen kein Grund, in Tränen auszubrechen; seine Witwe fühlte sich sogar wesentlich besser, zog mit einem soliden Mann aus gutem Hause (der nicht nach Kühen stank) nach Augsburg und brachte zwei Kinder zur Welt, die wohlgerieten. Mittenbichler jedoch, von niemand bekehrt, zog im Kampf gegen den Flaschenteufel ziemlich schnell den Kürzeren und starb sabbernd in einer Heilanstalt, statt stocknüchtern über sein eigentliches Talent zu stolpern, nämlich die Fähigkeit, verzweifelten Menschen Trost und neuen Lebensmut zu spenden.
    Die Regensburger Telefonseelsorge hörte nie von Xaver Mittenbichler. Achtunddreißig Menschen, die dem verhinderten Trinker ihr Leben zu verdanken hatten, waren plötzlich nicht mehr da. Menschen, die ihrerseits anderen Menschen hatten (beziehungsweise hätten) helfen können. Die Bekannten- und Freundeskreise der achtunddreißig Gewesenen veränderten sich dramatisch, was wiederum erhebliche Veränderungen zur Folge hatte, die erhebliche Veränderungen zur Folge hatten.
    Einige besonders kurzsichtige Menschen waren bis zu diesem Zeitpunkt der Auffassung gewesen, sie verstünden die Welt. Langsam, aber sicher schlossen auch sie sich jetzt den Ansichten ihrer skeptischeren Artgenossen an und lauschten verwundert und verwirrt streitenden inneren Stimmen, die sie vorher nie vernommen hatten.
Ach du Schande, was tut sich ’n dafür ’n Abgrund auf, Menschenskind, geht das weit runter! – Der Abgrund war schon immer da. – Quatsch, hätte ich doch gesehen, so ’n Abgrund, bin doch nicht blind! – Blind nicht, aber im Rücken hast du keine Augen. – Da guck ich nich hin … Igitt, der ist ja in meinem Kopf! Wer hat ’n den da reingetan, meine Fresse! Ohgottogott … das kapier ich nich. Aber ich kapier doch sonst alles, oder? – Oder. – Aha. Ach, so ist das … und was machen wir jetzt?- Beten. – Beten? Mach mal vor …
    Es ist nicht leicht, sich von liebgewonnenen Gewohnheiten zu verabschieden. Schon gar nicht, wenn man allen gleichzeitig den Rücken kehren muss.

2
    Zeus marschierte währenddessen (Währenddessen? Denken Sie mal fünf Sekunden über die durchschnittliche Dehnbarkeit von Alltagsbegriffen nach) nachdenklich durch den großen Sitzungssaal von Olympos. Poseidon saß am Sitzungstisch, stopfte sich Thunfischstückchen durch den Bart und wartete darauf, dass der Göttervater endlich etwas Kluges von sich gäbe.
    Zeus blieb stehen und spitzte die Ohren. Jemand näherte sich mit raschen, verstohlenen Schritten, und im nächsten Augenblick betrat Hermes strahlend den Saal. Er breitete die Arme zur Begrüßung aus, blieb jedoch stehen, um seinen Triumph nach allen Regeln der Kunst auszukosten.
    «Alles erledigt, Vater!»
    «Tatsächlich?», fragte Zeus ungläubig.
    «So wahr ich hier stehe», sagte Hermes und trat auf seinen Vater zu. «Hatop, Melchior, Aristipanes und Tinker – alle beim guten alten Hades und seinem blöden Köter. Aus. Ratzfatz. Schluss mit Lustig. Ein Erfolg auf der ganzen Linie. Athene wird sich schwarzärgern.»
    «Erstaunlich», murmelte Zeus.
    «Was iss erstaunlich?», mampfte Poseidon.
    «Zu einfach.» Zeus wandte sich wieder an Hermes. «Überhaupt keine Probleme?»
    «Nein, eigentlich nicht … das heißt, dieser Tinker, der war etwas eigenartig.»
    «Eigenartig? Inwiefern?»
    Hermes setzte sich neben Poseidon und klaute dem Meergott unbemerkt einen Klumpen Thunfisch. «Na ja. Ich wollte ihn im Jahre 1940 – christliche Zeitrechnung – in die Unterwelt jagen … übrigens mittlerweile ganz schön voll da unten … aber da war er schon tot.»
    «Was?»
    «Da war er schon tot. Gestorben 1939 , bei einem Überfall. Unter recht eigentümlichen Begleitumständen, wenn ich recht darüber nachdenke … an dem Tag sind nämlich noch drei Leute in seinem Haus gestorben, mit Pfeilen im Kopf.»
    «Verfluchte Scheiße», sagte Zeus.
    «Wie bitte?»
    «Du hast die Falschen umgebracht.»
    «Aber Zeus», mischte sich

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