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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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wieder zurück. Nach einigen Sekunden füllte es Athenes gesamtes Denken aus und hinderte sie, andere Bilder vor ihrem geistigen Auge zu fixieren. Es war ein Bild ihres Vaters. Ein imposantes Bild. Eines, das wie eine Straßensperre vor allen möglichen Gedankengängen stand.
    Athene griff sich an den Kopf und stand wütend auf.
    «Das ist nicht fair!», sagte sie.
    Loki hob den Kopf und musterte die Griechin.
    «Was ist nicht fair?»
    «Er drängt sich in meine Gedanken, dieser Mistkerl.»
    «Welcher Mistkerl?»
    «Mein Vater.»
    «Oh … das kann er?»
    «Ja, wenn er nicht betrunken ist.» Athene warf dem hässlichen, dürren Kentauren mit dem öligen Seitenscheitel einen misstrauischen Blick zu. «Du gehst nicht weg.»
    Loki lächelte. «Wo denkst du hin, Griechin?»
    Athene dachte nirgendwohin. Zeus stand im Weg.
    «Ich bin gleich wieder da», sagte sie, wandte sich von Loki ab und stampfte ebenso schnurstracks wie zornig auf Olympos zu. Ase hin, Ase her, sie musste zuerst ihren Vater zwingen, aus ihrem Bewusstsein zu verschwinden.
    Als sie durch einen der langen Korridore im Inneren der Wohnanlage lief, traf sie mit Apollon zusammen. Der Gott der Dichtkunst machte keinen allzu frischen Eindruck.
    «Bei dir auch?», fragte Athene besorgt.
    «Ja. Er ist hier drin.» Apollon zeigte auf seinen Kopf.
    «Bei Kronos und Rhea, was soll das? Das hält er doch nicht lange durch. Er kann uns höchstens eine halbe Stunde blockieren, dann bricht er zusammen. Komm», sagte sie und eilte weiter, «wir fragen ihn selbst.»
    Apollon folgte.
     
    Zeus saß leicht vornübergebeugt am Versammlungstisch, als die beiden den Raum betraten. Vor ihm standen ein großer Kelch und eine armselige Holzschale, in der sich ein Rest Pinienkerne befand, neben ihm saßen Hermes und Artemis, die sich sämtliche Fingerspitzen gegen die Schläfen presste. Wütend stürmte Athene auf ihren Vater zu und blieb dicht vor ihm stehen, die Fäuste auf die Hüftknochen gestützt.
    «Vater! Was soll das!»
    «Ich wollte mit euch sprechen», brachte Zeus mühsam hervor und lockerte den mentalen Griff. Apollon, Artemis und Athene konnten wieder ein bisschen klarer denken.
    «Bitte, setzt euch», sagte der Göttervater erschöpft und wies auf die freien Stühle zu seinen Seiten. Als seine Kinder Platz genommen hatten, beugte er sich ächzend vor und stützte sich mit beiden Unterarmen auf der Tischplatte ab.
    «Ich», begann er zerknirscht und wandte den Blick von Athene, «ich kann das nicht mehr ertragen, dass wir, dass unsere Familie sich in den Haaren liegt. Dass wir … streiten.»
    Athenes Mund klappte auf und wieder zu. «Wa…?»
    «Ich möchte das nicht», fuhr Zeus ruhig, aber sehr bestimmt fort. «Schlimm genug, dass wir uns nicht vertragen, aber nun ist mir zu Ohren gekommen, dass sich auch die Asen eingemischt haben, und ich möchte nicht, dass Fremde in unsere Familienangelegenheiten hineingezogen werden.»
    «Familienangelegenheiten?», wollte Athene fragen, kam jedoch nur bis «Familien», denn Zeus besänftigte sie mit einer abwehrenden Handbewegung. Er wirkte fast gebrechlich, entkräftet vom Taktieren und von den unermesslichen geistigen Anstrengungen, die er auf sich genommen hatte, um die drei Abtrünnigen zu sich zu rufen.
    «Verzeihung», sagte er müde. «Keine Familienangelegenheit. Du hast recht, Athene, du hast ja recht. Aber wie dem auch sei. Ich werde die Blitze zurückrufen.»
    Vollkommene Stille überflutete den Raum. Aus der Speisekammer drang zuerst das knarzende Furzen eines Wiesels und dann Hebes Fluchen, aber keiner der Götter wandte den Kopf.
    Schließlich brach Athene das Schweigen.
    «Das ist doch nur wieder einer von deinen Tricks.»
    Zeus sah auf. Todtraurige, gebrochene Augen blickten flehend in Athenes bis zu diesem Augenblick harte Züge.
    «Ich verstehe dich», flüsterte der Göttervater erstickt. «Ich kann nicht verlangen, dass du mir glaubst, nach allem, was geschehen ist. Ich verlange gar nichts.» Der Blick eines Sterbenden schweifte über die Gesichter der anderen. Apollon, Artemis und Hermes ließen die Köpfe hängen. «Ich bitte euch. Ich, euer Vater, bitte euch … um Vergebung.»
    Erneut herrschte Totenstille. Etwas Ungeheuerliches war geschehen. Zeus hatte einen Fehler eingestanden und
bat andere Götter um Verzeihung
. Verunsichert versuchte Athene, mit ihren Geschwistern Blickkontakt aufzunehmen, aber beide nestelten ergriffen an ihren Handgelenken herum.
    «Schwörst du, dass das kein Trick

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