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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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ist?»
    Ihre Stimme klang nicht mehr so unbarmherzig, wie sie geglaubt hatte. Apollon sprang auf.
    «Athene, lass es gut sein!», sagte er. «Er bittet uns um Vergebung, also vergeben wir ihm.»
    Zeus bedachte seine Tochter mit einem Blick, der sogar Steine zum Schluchzen gebracht hätte. «Ich werde die Blitze zurückrufen», sagte er mit letzter Kraft und hob seinen Becher. «Weil meine Familie wichtiger ist als Sterbliche, die an mich glauben oder eben nicht glauben.»
    Schweigend tänzelte Ganymed von der Küche aus herein und füllte die vor den Göttern stehenden Becher andächtig mit Wein. Niemand sagte etwas. Apollon wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel, Artemis schluckte. Athene musterte Zeus und verlor die letzten Zweifel. Er wirkte wahrhaftig, als würde ihn jeder weitere Streit umbringen oder zumindest bis zum Ende aller Tage zu einem untröstlichen, gebrochenen Vater und Gott machen.
    «Auf unsere Familie», raunte Zeus feierlich und hob seinen Kelch.
    Artemis und Apollon ergriffen die vollen Becher und tranken mit großen Schlucken. Die Göttin der Weisheit nippte an der süßen, harzigen Flüssigkeit und warf Hermes einen Blick zu. Sein Kehlkopf ruckte auf und ab, aber in seinen kleinen Augen brannte ein anderes Feuer als jenes, das vom Wein entfacht wird. Athene ließ den Becher sinken und runzelte die Stirn.
    «Weshalb trinkst du nicht, Bruder?»
    Hermes setzte den Becher ab und ein überraschtes Lächeln auf. «Bitte? Natürlich trinke ich.»
    «Du hast nicht getrunken.»
    Athene sah Zeus an. Der Göttervater erhob sich von seinem Thron. Bartumwachsene Mundwinkel krochen träge aufwärts und zauberten ein breites Schmunzeln in sein Gesicht. Alle Anzeichen von Gebrechlichkeit waren urplötzlich spurlos verschwunden. Was die Anwesenden nicht zuletzt am Tonfall merkten.
    «Es wird euch nicht lange außer Gefecht setzen», dröhnte er, «aber es wird Ares und Poseidon genug Zeit verschaffen, eure Würmer in die Unterwelt zu jagen!»
    «Du miese alte Ratte!», zischte Athene und hatte das Gefühl, gleichzeitig in mehreren Riesenrädern zu sitzen. Sie fühlte ihre Arme schwerer und schwerer werden und stemmte sich mit aller Willenskraft gegen die nahende Bewusstlosigkeit. Mit einem Blick erkannte sie, dass Apollon und Artemis bereits auf die Tischplatte gesackt waren. Sie versuchte sich klarzumachen, dass sie wesentlich weniger getrunken hatte. Die Wirkung des Mittels konnte nicht lange anhalten. Noch einmal hob sie ihren Kopf, der sich in Blei verwandelt hatte.
    «Du … verlogener … Drecksack …»
    «Danke», sagte Zeus. Er und Hermes betrachteten Athene lächelnd.
    Die Göttin lächelte nicht zurück. Sie betrachtete nicht mal zurück. Der ganze Raum geriet in Bewegung, kippte zur Seite und stand plötzlich senkrecht. Hermes goss den Inhalt seines Glases auf den Boden, lachte und holte einen anderen Krug unter dem Tisch hervor. Überschwappend ergoss sich die Flüssigkeit in seinen und Zeus’ Kelch. Sie prosteten Athene zu. Schwere Gewichte zogen ihre Lider nach unten, und in die stille Dunkelheit hinein dachte sie
ich muss, ich muss, ich muss
 …
    Zeus trank seinen Becher zügig leer, schwankte kurz und rief nach Poseidon und Ares. Die beiden kamen vom Flur aus herein und glotzten die schlafenden Götter verständnislos an. Erneut füllte Hermes den Becher, den Zeus ihm fordernd entgegenstreckte.
    «Und jetzt», donnerte der Göttervater, «seid ihr dran! Löscht sie aus! Bringt sie um, diese widerlichen Kohlenstoffeinheiten! Tötet Gwydiot, Cameron, Erasmus und Diana! Prügelt ihre Seelen bis in die Unterwelt!»
    «Jaaaaah!», brüllten Ares und Poseidon, machten auf dem Absatz kehrt und stürmten hinaus zu ihren Waffen und Streitwagen.
    Zeus kippte sich einen halben Liter Wein in den Bart, lachte schallend und hielt seinen Becher erneut in Hermes’ Richtung.
    «Mehr Wein!»
    «Vater …»
    «Wein!!!»

3
    Nachdem Cameron sich von einem Boot in den Hafen von Southampton hatte bringen lassen, war er in einen Bus gestiegen und zunächst in Richtung Eastleigh gefahren. Er war vor der Endstation ausgestiegen, hatte sich gründlich umgesehen, ein Taxi bestiegen und sich wieder zum Hafen zurückbringen lassen. Dort hatte er einen unauffälligen, viertürigen Plymouth gemietet und war in Richtung Salisbury aufgebrochen.
    Es hatte nichts genützt. Er fühlte sich noch immer beobachtet.
    Er saß hinter dem Lenkrad des schweren Plymouth, spähte unbehaglich in den leeren

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