Götterdämmerung
Rückspiegel und hatte das Gefühl, splitternackt auf einem Gehweg voller Menschen zu sitzen. Sein Verstand teilte ihm laut und vernehmlich mit, dass er jeden Verfolger – so es überhaupt einen gab – durch die geschickte Hin- und Herfahrerei längst abgehängt hatte; ein unbestimmtes Gefühl hingegen sagte ihm, dass er auf dem besten Wege war, verrückt zu werden. Er hatte keinen blassen Schimmer, weshalb er in einem Mietwagen saß und auf einer leeren Landstraße in Richtung Salisbury fuhr. Das ergab keinen Sinn. Mekka, ja. Das Himalaya-Gebirge, die Pyramiden von Gizeh oder der thessalische Olympos, das waren die Ziele gewesen, die er während der langen Reise vor Augen gehabt hatte. Und jetzt saß er in einem schwarzen Plymouth und näherte sich Salisbury, einem Ort, mit dem er scheppernde Rüstungen und torfgesichtige Ritter verband, aber ganz gewiss nichts Heiliges.
Trotzdem war er sicher, das Richtige zu tun.
Und genau das war es, was ihn wahnsinnig machte.
Als Cameron sich der Brücke näherte, die kurz hinter Downton über den Avon führte, begann sein Herz plötzlich um sich zu schlagen wie ein unerfahrener Boxer in der ersten Runde. Er nahm den Fuß vom Gaspedal und rollte vorsichtig auf den Fluss zu.
Über der Brücke ballte sich eine Gewitterwolke zusammen. Eine sehr kleine, kompakte, schwarze Gewitterwolke, die offenbar nichts außer der Brücke treffen wollte und zu diesem Zweck sehr tief über ihr hing. Cameron schätzte den Abstand zwischen Fahrbahnoberfläche und Wolke auf höchstens dreißig Meter.
Langsam ließ er den Wagen weiter über den Asphalt rollen. Die Wolke schwebte unter dumpfem Grollen auf ihn zu und blieb schließlich direkt über ihm hängen. Der Plymouth stand jetzt unmittelbar vor der Brücke, über den Ufern des Avon. Cameron sah unentschlossen nach oben, als plötzlich Leben in die Wolke geriet. Blitze züngelten auf den Wagen zu, ohrenbetäubender Donner ließ die Karosserie erzittern, und wie aus Tausenden von Eimern ergoss sich Wasser über die Scheiben. Cameron schaltete die Scheibenwischer ein und zog seine Luger aus dem Holster. Durch die förmlich zerfließende Seitenscheibe sah er hinunter auf den Fluss und registrierte beunruhigt, dass das Wasser rapide stieg. Auf einer Breite von etwa fünfzig Metern näherte es sich der Brücke und brandete gischtig über die hohen Geländer zu beiden Seiten.
Cameron rammte den Rückwärtsgang laut krachend ins Getriebe, trat das Gaspedal durch und bekam ein ertrinkendes Gurgeln des Vergasers zu hören. Die bis zu diesem Augenblick schwungvoll gegen die Wassermassen kämpfenden Scheibenwischer blieben plötzlich wie festgeleimt auf der Scheibe liegen. Regen trommelte wütend auf das Dach des Plymouth, und Cameron hockte blind in seinem blechernen schwarzen Sarg.
Er überlegte nicht lange.
Er stieß die Tür auf und trat hinaus in das Inferno aus Regen und Dunkelheit, das auf der Brücke herrschte. Auf der anderen Brückenseite ahnte er die Mittagssonne, die durch hohe Wolken auf die Landstraße schien. Cameron drehte sich um. Zwanzig Meter hinter ihm war das Wetter völlig normal. Durch die nassen Bindfäden sah er zu Boden. Er stand mittlerweile bis zu den Knien in aufgewühltem Wasser, Wasser, das offenbar seinen eigenen Kopf hatte und sich hartnäckig weigerte, den Gesetzen der Physik zu gehorchen und in die liebliche Landgegend abzufließen. Nach Luft schnappend beschloss Cameron, den Rückzug anzutreten.
Er hatte sich noch keine zwei Meter weit durch die Fluten gewühlt, als er hinter sich einen bestialisch lauten Schrei hörte. Er wirbelte herum, so schnell es das Wasser erlaubte, und traute seinen Augen nicht.
Durch einen ovalen, trockenen Tunnel aus gleißendem Licht schoss dicht über der Wasseroberfläche ein mächtiger, vierspänniger Streitwagen auf ihn zu. Schaum wehte von den Mäulern der fliegenden Rösser, deren schwere, kupferne Hufe das Wasser nicht berührten und über deren goldenen Mähnen ein gigantischer Dreizack auf Camerons Gesicht zuschoss. Etwas weiter hinten stand der Wagenlenker, vornübergebeugt, die Zügel lässig in der Linken, den Schaft des Dreizacks fest in der Rechten, ein Hüne mit langen, zottig im Fahrtwind wallenden Haaren, aus dessen sperrangelweit aufgerissenem Rauschebart der ohrenbetäubende Schrei drang.
Camerons Blutbahnen spielten Rush-hour in L.A.
Der bis vor kurzem eleganteste Detektiv seiner Zeit dachte nicht darüber nach, dass er eigentlich ein mutiger Mann war. Triefend
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