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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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und schoss auf eine etwa zweihundert Meter von der Straße entfernte Baumgruppe zu. Mit lautem Krachen zerstob das kleine Wäldchen in grobe Splitter und feine Holzflocken.
    Erasmus und Diana lösten sich voneinander und blinzelten verdattert durch die Windschutzscheibe. Links vor ihnen torkelte Thor benommen durch die Waldreste und bückte sich, um seinen Helm aufzuheben. Erasmus wandte den Kopf nach rechts und sah Athene zügig auf den Rover zufliegen.
    «Seht zu, dass ihr weiterkommt!», rief sie und schwebte auf das Wäldchen zu.
    Diana legte den ersten Gang ein, Erasmus sagte: «Warte!»
    «Warte?» Sie musterte den kleinen Zottelkopf, der mit leuchtenden Augen aus dem Seitenfenster spähte, um den Kampf der Titanen zu beobachten. «Nein, Erasmus», sagte sie mit energischem Kopfschütteln, «bei aller Liebe.»
    Sprach’s und ließ den Rover losschießen wie ein tollwütiges Ferkel. Erasmus drehte sich um und sah durch die Heckscheibe, dass Thor seinen Hammer schwang wie einen Morgenstern. Mjölnirs Kopf verwandelte sich in einen bleigrauen Schemen, der wie ein großes Kreissägenblatt an der rechten Schulter des Asen rotierte.
    Die Straße knickte nach links ab, der Rover folgte ihr. Erasmus schnalzte bedauernd und sah wieder nach vorn.
     
    Thor fixierte die Griechin mit zusammengekniffenen Augen. Das hatte noch niemand gewagt. Ihn, den stärksten aller Asen, in einen Wald zu schmettern! Ihn zu demütigen! Ihn zum Gespött des gesamten Pantheons zu machen! Mjölnir kreiste unter tiefem, lautem Brummen an seiner Seite. Die Göttin schwebte angespannt, aber vollkommen reglos vor ihm, dicht über dem Erdboden, die mächtige Lanze mit beiden Händen waagerecht vor der Hüfte haltend. Mit einem ohrenbetäubenden Schrei ließ Thor den rasenden Hammerkopf nach vorn schnellen und raste im Schlepp des zerstörerischen Gewichts auf Athene zu.
    Wieder erwiesen sich die Berechnungen der griechischen Göttin als richtig. Sie wich im letzten Moment einen knappen halben Meter aus Thors Flugbahn, zu spät, um ihm noch Zeit für eine Kurskorrektur zu lassen, und hielt die Lanze hoch wie eine dünne, aber sehr massive Schranke. Mjölnir passierte das Hindernis haarscharf, aber Thor erwischte es voll mit den Augenbrauen. Vom Aufprall mitgerissen, drehte sich Athene etliche Male um die eigene Achse und lauschte dem gellenden, rasch verhallenden Schmerzensschrei des Asen, bevor sie sich wieder fing und schwindelnd an die Verfolgung machte.
    Sekunden später entdeckte sie eine lange, mehrere Meter breite Schneise im Brighstone Forest auf der Isle of Wight, knapp achtzig Kilometer vom Ort des ersten Zusammenpralls entfernt, und sah Thor klatschnass und fuchsteufelswütend aus einem großen See in der Waldmitte in den Himmel hinaufschießen. Dicht unter seiner Helmkante wucherte eine gigantische, blaurot schillernde Beule, und Athene machte sich diesen wunden Punkt ihres Gegners unbarmherzig zunutze. Sie stürmte auf den gen Himmel rasenden Asen zu, wirbelte ihre Lanze durch die Luft und traf Thor, der den schnellen Bewegungen nicht so recht folgen konnte, mit dem unteren, stumpfen Lanzenende auf der Beule.
    Auch Götter haben irgendwann die Schnauze voll.
    Thor jaulte verletzt auf und patschte sich mit beiden Handflächen auf die Beule. Während Mjölnir nutzlos von seinem Handgelenk in die Stratosphäre über England baumelte, stieß er einen markerschütternden Schmerzensschrei aus.
    «Woooaaaohhauuuüüaaaaaarrghhhh! Bei allen Göttern, du verfluchte Griechenschlampe, das kriegst du wieder! Gnaaarrrghhüiauuuuüi!»
    Die verfluchte Griechenschlampe ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und entriss dem Jaulenden seinen Hammer. Thors verletztes Fluchen wurde lauter.
    Laut genug.
     
    Odin sprang wutentbrannt auf und schulterte seinen treuen Speer Gungnir. Keinen Augenblick später sprengte ein sehr, sehr erboster Asenvater auf dem Rücken seines achtbeinigen Rosses Sleipnir über die Brücke Bifröst und hinein in die raum- und zeitlosen Sphären vor dem Steintor. Kein Sterblicher hätte den Anblick des apokalyptischen Reiters überlebt. Aus seinem Auge schoss ein Blick, der genau das konnte, was böse Blicke normalerweise gern könnten, aber nicht können.
    Athene spürte eine eisige Welle über ihren Rücken wehen, lange bevor sie den Reiter sah. Zum ersten Mal in ihrer langen Götterexistenz verspürte sie etwas wie Furcht. Keine Furcht vor dem Tod, denn dieses Schicksal konnte sie nicht treffen, wohl aber eine dumpfe Angst

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