Götterfall
ausgemacht, dass ich Jan irgendwo aussetze und dann von einer Telefonzelle aus den Ort durchgebe. Als Sicherheit hatte ich ja das offizielle Schreiben, selbst wenn Hüffart entgegen seiner Zusage keine Pressekonferenz gegeben hätte, wäre die Schmiergeldzahlung aufgeflogen. Ich hätte den Brief direkt an alle Nachrichtenagenturen geschickt, was für Hüffart deutlich unangenehmer geworden wäre.«
»Du dachtest also, dein Plan wäre erfolgreich gewesen?«
»Davon bin ich ausgegangen, ja. Ich wollte den Jungen auch nicht länger gefangen halten, Mann, der tat mir auch leid, weil er dermaßen Schiss hatte.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Ich bin mit Jan auf den Langenberg in die Nähe des alten Kalksteinbruchs und hab ihn da zurückgelassen. Dachte echt,damit wäre die Sache gelaufen.« Götze blickte sonst wohin, da könnte jetzt wahrscheinlich der imposanteste Eisberg aller Zeiten an ihm vorbeisegeln, er würde nichts mitbekommen. »Den Moment hab ich so was von gespeichert: Jan, noch an Armen und Beinen gefesselt, aber nicht zu fest, echt nicht, der hatte keine Schmerzen. Er sollte nur nicht zu früh losrennen, ich brauchte einen Vorsprung. Der Knirps saß auf dem Sockel von so einem Betontürmchen, hat mir nachgeschaut und sogar ›Tschüss‹ gesagt, und ›Danke, dass Sie mich am Leben gelassen haben‹.«
»Und wenig später ist er dann doch tot …«
»Genau.« Er schlug mit der Hand auf die Reling. »Der Hüffart hat seinen eigenen Sohn geopfert. Das muss man sich mal vorstellen! Der hat sein einziges Kind …«
»Ich will mir das gar nicht ausmalen«, unterbrach Wencke. Und ich kann es auch nicht, fügte sie in Gedanken dazu. Dieser Verdacht lag einfach jenseits ihrer Vorstellungskraft. Das konnte so nicht stimmen, nein, niemals! »Was ist mit der Erklärung von Hüffart, warum hast du die nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht?«
»Weil der Wisch weg war, verschwunden. Ich dachte doch, alles ist in Butter, Auftrag ausgeführt. Und dann hab ich aus den Nachrichten erfahren, dass Jan tot ist. Ich dachte echt, die verarschen mich, das wäre so eine Art Falle, um mich zu kriegen. Die wollten mich nervös machen, damit ich mich verrate oder einer von meinen Leuten zu quatschen anfängt, und dann springt der Junge wieder quicklebendig rum und alle sagen ›Ätschbätsch, reingefallen, wir haben dich!‹.«
»Leider war es anders und Jan wirklich tot …«
»Dann hab ich mit Doro im Bett gelegen, und die kamen rein und haben mein Zimmer auf den Kopf gestellt. Keine Ahnung, wie die auf mich gekommen sind und in wessen Hände das Papier anschließend geraten ist.« Er machte eine etwas wehleidigePause. »Die Beweise für ’n Arsch. Und kein Schwein glaubt mir die Geschichte.«
Außer Doro, dachte Wencke, die hätte dir das geglaubt. Weil sie alles glauben wollte, was ihr die Angst nehmen konnte, der Vater ihres Kindes sei ein Mörder.
Und was war mit Silvie? Sie hatte ausgesagt, Götze am Charlottensee gesehen zu haben, auch wenn das eindeutig nicht stimmte. Kannte sie etwa die Wahrheit? Oder hatte sie lediglich etwas behauptet, um sich aufzuspielen. Wencke wurde aus alledem nicht schlau. Und noch etwas anderes war von der Erzählung hängen geblieben: »Du hast den Jungen bei den alten Steinbrüchen ausgesetzt? Wann war das?«
»Am späten Nachmittag, ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Warum?«
»Unsere Truppe hat tagsüber immer wieder den Langenberg abgesucht. Warum haben wir Jan nicht entdeckt?«
»Keine Ahnung. Es war kurz vor Sonnenuntergang, ich hab ihn da hingesetzt und bin über die Holperdorper Straße zurück in den Ort. Von der Telefonzelle bei der Post aus hab ich telefoniert, das muss eine Dreiviertelstunde später gewesen sein. Und dann sind die wohl gleich los, um den Jungen zu holen, aber er war angeblich nicht mehr da.«
Der junge Mann mit der gesunden Gesichtsfarbe und dem Fischereianzug forderte allgemeine Aufmerksamkeit, weil er etwas über die Beschaffenheit der schwimmenden Naturkunstobjekte erzählen wollte. Sein Kollege, der in einem Schlauchboot das Schiff umkreiste, fuhr dicht an die Backbordseite und überreichte ihm einen Eisbrocken in der Größe eines Brotlaibes. »Does anybody want some ice?« Der Klotz wurde auf einem Holzbrett in mundgerechte Stücke zerkleinert und dann wie eine Delikatesse herumgereicht. Darauf waren alle scharf, obwohl die Luft trotz der Sonne frisch genug war und eine Tasse Glühwein irgendwie besser gepasst hätte. Wencke und
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