Götterschild
als neutrales Territorium gelten zu können. Schiffe vermochten sich keinesfalls unentdeckt auf weniger als ein paar Meilen zu nähern und zudem fehlte auf der Insel mangels Vegetation und Erhebungen jegliche Deckungsmöglichkeit, was die Vorbereitung eines Hinterhalts praktisch unmöglich machte.
Der Inselherr Jorig Techel leerte genüsslich einen Becher des für die Verhandlungen bereitgestellten Weines, während er das langsam näher kommende Ruderboot beobachtete, das Nagas und seinen Berater von ihrem außerhalb der Geschützreichweite ankernden Segler auf die Insel bringen würde. Sie waren übereingekommen, dass niemand außer den beiden Inselherren und deren jeweilige Ratgeber sich während der Verhandlungen auf der Insel aufhalten durften. Dementsprechend verließen die beiden Matrosen, die das Beiboot ruderten, ihr Gefährt nicht, als sie den Strand erreichten, sondern halfen nur den Insassen beim Aussteigen.
»Ist das Nagas?«, fragte Techel flüsternd, als er den schmächtigen jungen Mann am Strand erblickte. »Das ist ja ein richtiger Hänfling.« Er schnaubte belustigt.
»Die beinahe zwei Jahre Kerkerhaft, die er seinem Bruder Megas zu verdanken hat, haben ihn sichtlich gezeichnet«, erklärte Abak, ohne die Neuankömmlinge aus den Augen zu lassen. »Aber wer ist sein Begleiter?« Der greise Ratgeber kniff angespannt die Augen zusammen.
Die zweite Person musste von den beiden Matrosen regelrecht ans Ufer gehievt werden. Die Gestalt des Mannes erinnerte an einen von Wind und Wetter gekrümmten Baum. Sein Oberkörper hing nach vorn, während die Beine sich in einem unnatürlichen Winkel nach außen bogen. Als der Mann nun langsam, auf eine bis unter die Armbeuge reichende, hölzerne Krücke gestützt den Strand heraufgehumpelt kam, stieß Abak plötzlich ein scharfes Zischen aus.
»Was ist?«, erkundigte sich Techel beunruhigt.
»Das ist Joshua Tabuk, Herr, Megas’ ehemaliger Flottenkommandant.«
»Du meinst, der Joshua Tabuk, der damals …«, Techel stockte.
»Genau der«, bestätigte Abak. »Für sein Aussehen sind wir verantwortlich.«
»Was heißt hier ›wir‹ «, protestierte Jorig Techel erbost. »Es war nicht meine Idee, ihn der hochnotpeinlichen Befragung zu unterziehen, sondern deine.«
»Das ist richtig, Herr«, erwiderte Abak und entblößte sein vergilbtes Gebiss zu einem spöttischen Grinsen. »Ihr sagtet nur so etwas wie: ›Bring ihn dazu, die Verwicklung von Ho’Neb in den Waffenschmuggel mit dem Ho’Toba-Archipel zuzugeben, wie, ist mir egal.‹ «
»Es ist ja auch ganz gleich, wer was gesagt oder getan hat«, knurrte Techel ungehalten. »Von so einem Krüppel und diesem Jungspund haben wir wohl schwerlich etwas zu befürchten, meinst du nicht? Selbst wenn einer der beiden einen versteckten Dolch bei sich trägt oder etwas Ähnliches, habe ich diesen Klappergestellen schon zweimal mit bloßen Händen den Hals umgedreht, bevor sie nah genug an mich herankommen, um mir eine Klinge in den Leib zu stoßen.«
»Das mag sein«, stimmte Abak zu, »ich befürchte auch keine körperlichen Angriffe, zumal ich für einen solchen Fall natürlich vorgesorgt habe.« Er sah sich nach ihrem Schiff um, das auf der gegenüberliegenden Seite der Insel ankerte. »Es sieht zwar so aus, als liege unser Segler wie vereinbart außerhalb der Geschützreichweite, doch habe ich den besten Richtschützen des Inselreichs am Bug postieren lassen. Mit seiner selbst konstruierten Dreibeinarmbrust trifft dieser Mann bei wenig Wind und Seegang, so wie heute, auf fünfhundert Schritt eine Möwe am Strand. Ich habe es mir demonstrieren lassen, es ist bemerkenswert. Ein Wink genügt und Nagas und sein krummer Getreuer werden hier ihr Grab finden.«
Der Inselherr Techel entspannte sich wieder sichtlich. »Na, dann ist doch alles bestens«, seufzte er zufrieden.
Abak wiegte den Kopf. »Ich könnte mir nur vorstellen, dass die Verhandlungen nicht ganz so einfach werden wie gedacht, denn Joshua Tabuk ist uns bestimmt nicht wohlgesonnen.«
»Nun ja«, gab Techel schulterzuckend zurück, »wenn wir nicht am Verhandlungstisch zu einer Einigung kommen, dann werden wir diese Angelegenheit eben mit dem Schwert bereinigen müssen. Ich habe nichts dagegen.«
»Oder ich könnte einfach winken«, bemerkte Abak mit einem verschlagenen Seitenblick auf seinen Herrn.
Techel verstand sofort. »Von solcherlei Hinterlist will ich nichts hören.« Er hob voller gespielter Abscheu die Hände. »Das wäre dann eben ein
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