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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Haus betrat und die Tür hinter ihm zufiel und nicht nur den Lärm und die ausgelassene Stimmung der feiernden Menge auf den Straßen aussperrte, sondern auch die Wärme und das gleißende Sonnenlicht. Seine Augen schmerzten, obwohl er nahezu ununterbrochen zu Boden geblickt hatte, und sein Gesicht und die Haut auf seinen Händen fühlten sich an, als hätte er sich einen heftigen Sonnenbrand zugezogen. Tief in seinem Inneren wusste er genau, dass auch das ein Zeichen dafür war, dass etwas mit ihm geschah. Noch gelang es ihm, die Augen davor zu verschließen. Er wusste nur nicht, wie lange noch.
    »Señor Delãny?«
Andrej schrak aus seinen Gedanken hoch und konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, nach seinem Schwert zu greifen, als er einen von Gordons Matrosen in der schlanken Gestalt erkannte, die hinter der Tür auf ihn wartete. »Capitan Gordon wartet oben auf Euch.« Andrej ging so schnell an ihm vorbei, wie es in dem schmalen Flur möglich war, ohne den armen Kerl einfach über den Haufen zu rennen, und eilte die steile Treppe hinauf. Gordon wartete im selben Zimmer auf ihn wie Rodriguez gestern, und auch die Aussicht vom Fenster schien sich kaum verändert zu haben. Erst, als Andrej neben Gordon und Bresto trat, fiel ihm auf, dass die Menge größer war und die Stimmung noch ausgelassener. Überall wurde gelacht und gejohlt. Weinkrüge, Schläuche und Bierkrüge kreisten, Prostituierte boten ganz ungeniert ihre Dienste an (wobei sie wenig Hemmungen hatten, ihren potenziellen Kunden die feilgebotenen Waren vorher ausgiebig begutachten zu lassen), und selbst die obligaten Kinder waren wieder da. Außerdem war das hölzerne Podest im Zentrum des Platzes größer geworden, und statt einer Garotte erhob sich nun ein einfacher Holzklotz darauf. Andrej hatte sich nicht gut genug in der Gewalt, um ein erschrockenes Zusammenzucken zu unterdrücken.
Als hätte er das, was er bei diesem Anblick empfand, tatsächlich in Worte gekleidet, bedachte ihn Gordon mit einem ersten Blick. »Unser Freund Castello lernt schnell«, sagte er. »Noch einen Mann, der sich nicht erwürgen lässt, will er dem Volk nicht präsentieren. Außerdem weiß er, was er den guten Leuten hier schuldig ist. Der Pöbel will Blut sehen.«
    Underweiß,wiemaneinenvonunstötenkann, fügte Andrej in Gedanken hinzu. Wenn nicht er, wer dann? Nicht zum ersten Mal kamen ihm Bedenken, was seinen Plan anging … oder, um Bresto zu zitieren: den haarsträubenden Irrsinn, den er sich vorgenommen hatte. Von seinem Standpunkt aus mochte er damit durchaus recht haben, aber Andrej hatte gute Gründe für diesen Irrsinn. De Castello wusste, dass er nicht einfach tatenlos zusehen würde, wie Abu Dun und der Colonel starben. Und Andrej war klar, dass alles, woran er dachte, auch dem abtrünnigen Gott einfallen musste. Er lief sehenden Auges in eine Falle. Aber vielleicht war das zugleich auch die einzige Chance, sie zu überleben. Auch wenn Loki sich noch so gut vorbereitet haben mochte, gab es vielleicht doch eine Möglichkeit, mit der er nicht rechnete.
»Ist alles vorbereitet?«, fragte er, ohne den Blick von der schrecklichen Vorrichtung im Herzen der Menschenmenge zu lösen. Dennoch registrierte er den zweifelnden Blick, mit dem Gordon auf seine Frage reagierte. Wortlos nickte er zu dem Platz hinab, zuerst nach links, dann nach rechts. Überall unter den Schaulustigen waren auch Uniformen zu sehen, Dutzende, wenn nicht hunderte von blauen Marineuniformen, wie sie heute das Stadtbild von Cádiz bestimmten. Andrej schätzte, dass sich im Moment mehr Matrosen und Soldaten auf den Straßen aufhielten, als die Stadt normalerweise Einwohner zählte; und in dieser Zahl waren die mehreren tausend Mitglieder der eigentlichen Parade noch nicht einmal berücksichtigt. In etlichen der blauschwarzen Uniformen, auf die er nun hinabsah, steckten nicht die, die hineingehörten. Zwei Dutzend, um genau zu sein. Gordon hatte geschworen, dass es seine zuverlässigsten und besten Männer waren, aber Andrej war nicht vollkommen vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptung überzeugt. Die Aussichten, dass auch nur die Hälfte von ihnen in einer Stunde noch am Leben war, standen nicht gut, und Andrej hatte nicht vergessen, was Gordon über seine Mannschaft gesagt hatte. Gordon und er würden sicherlich niemals Freunde werden, aber Andrej hielt ihn (auf seine ganz spezielle Art) trotzdem für einen aufrechten Mann. Wahrscheinlich störte es ihn nicht sonderlich, wenn sie von Läusen

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