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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gefangenen versuchte, sich an ihn zu klammern, und flehte ihn an, ihn loszuschneiden. Andrej stieß ihn fort, wirbelte herum und zerrte Rodriguez so derb mit sich, dass dieser das Gleichgewicht verlor und fast über das halbe Podest geschleift wurde, bevor es ihm gelang, wieder auf die Füße zu kommen.
Ein weiterer Soldat besann sich endlich wieder auf den Grund, aus dem er eigentlich hier war, vertrat ihm den Weg und versuchte, ihm sein Bajonett ins Gesicht zu stoßen. Andrej dankte dem erstbesten Gott, dessen Name ihm einfiel, dafür, dass er nicht auf die Idee gekommen war, die Muskete abzufeuern, schlug die Waffe mitsamt ihres Besitzers zur Seite und unterdrückte einen Fluch, als Rodriguez sich losriss und schon wieder auf die Knie fiel; dann sah er, dass er sich lediglich gebückt hatte, um einen Säbel aufzuheben. Ärgerlich riss er Rodriguez zum zweiten Mal auf die Füße und registrierte fast beiläufig, wie das Holz unmittelbar neben ihm auseinanderplatzte und ein münzgroßes, rauchendes Loch entstand. Offensichtlich waren nicht alle Soldaten in Panik geraten. Mindestens ein Mann hatte die Nerven behalten und aus einem der umliegenden Häuser mit einer Muskete auf ihn geschossen.
Vermutlich war es reiner Zufall, dass die Kugel so dicht neben ihm eingeschlagen war, denn Musketen waren keine sehr zielsicheren Waffen. Andrej hatte allerdings auch nicht vor, abzuwarten und diese Vermutung zu überprüfen.
Er fuhr zu Abu Dun herum, stellte erwartungsgemäß fest, dass sich der Nubier aller seiner Bewacher entledigt hatte, und deutete mit der freien Hand nach links, in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. Die lebende Gasse war ebenso verschwunden wie die Männer, die sie gebildet hatten, und alles, was er sah, waren panisch durcheinanderstürzende Menschen. Abu Dun löste das Problem auf seine ganz eigene Art, indem er mit einem einzigen Satz in die Menge hinuntersprang und den erbeuteten Säbel schwang, um auf diese Weise nicht nur die Panik noch ein wenig zu schüren, sondern auch Platz für sich, Andrej und den Colonel zu schaffen.
Irgendetwas surrte mit dem Geräusch einer wütenden Hornisse so dicht an Andrejs Ohr vorbei, dass er den Luftzug spürte, traf einen der Gefangenen auf der anderen Seite des Podests und ließ ihn wie vom Blitz getroffen zusammenbrechen. Anscheinend trafen Musketen doch sicherer ihr Ziel, als Andrej angenommen hatte.
Rodriguez mit sich zerrend, sprang er von der Plattform, glitt prompt aus und wäre der Länge nach hingeschlagen, wäre es jetzt nicht Rodriguez gewesen, der ihn im letzten Moment gepackt und festgehalten hätte.
»Kein Problem, Señor«, grinste Rodriguez. »Ich denke, das war ich Euch schuldig … auch wenn Ihr Euch reichlich Zeit gelassen habt, wenn ich offen sein darf. Euer Freund und ich dachten schon, Ihr würdet gar nicht mehr kommen.«
Andrej sparte sich jede Antwort. Rodriguez war entweder verrückt oder wusste etwas, wovon er nichts wusste. Er schien das Geschehen als eine Art großes Abenteuer anzusehen. Doch wenn ihm jemand den Kopf wegschoss, würde er vielleicht nicht mehr grinsen, dachte Andrej.
Er versetzte Rodriguez einen Stoß, der ihn weiterstolpern ließ, und blieb dicht hinter ihm, während sie zu Abu Dun aufschlossen, der durch die Menge pflügte wie ein Wal durch eine Schule hilfloser Tümmler. Er stieß und rammte Männer und Frauen beiseite und trampelte diejenigen nieder, die ihm nicht schnell genug Platz machten. Hinter ihm schloss sich die lebende Flut wieder, aber nicht schnell genug, um Andrej und Rodriguez den Anschluss zu verwehren.
Unmittelbar neben Rodriguez schrie ein Mann auf, griff sich an die Brust und brach zusammen. Zwischen seinen Fingern quoll hellrotes Blut hervor. Wer auch immer da auf sie zielte, dachte Andrej, hatte entweder alles Glück der Welt gepachtet oder war ein schon fast übernatürlich guter Schütze. Besser, er ging von der zweiten Möglichkeit aus.
Abu Dun bahnte sich weiter einen Weg durch die Menge, aber auch er wurde allmählich langsamer, und möglicherweise rettete das ihnen das Leben. Sie hatten das Haus, durch das er vorhin gekommen war, beinahe erreicht, als die Hälfte der Türen auf dieser Seite des Platzes aufflogen und eine knappe Hundertschaft Soldaten herausstürmte.
Sie eröffneten augenblicklich das Feuer.
Selbst Andrej, der geglaubt hatte, auf alles vorbereitet zu sein, war so überrascht, dass er eine halbe Sekunde lang einfach nur dastand und die Soldaten anstarrte, die aus ihren

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