Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
»Ich bitte Euch, Sir!«, antwortete Drake leicht verschnupft. »Wäre das ehrenhaft? Nein, gewiss nicht!« Er schüttelte bekräftigend und so heftig den Kopf, dass sein Dreispitz samt der Perücke verrutschte, rückte beides hastig wieder zurecht und blinzelte dann in den Himmel hinauf. Andrej konnte sich gerade noch beherrschen, dasselbe zu tun. Die Sonne stand als rot glühender Ball eine Handbreit über dem Horizont, hatte aber noch nicht die Kraft, mit ihrem Lodern das Meer in Brand zu setzen. Dennoch war ihm schon ihr bloßer Anblick unangenehm. Er begann, sich zunehmend in ein Geschöpf des Zwielichts zu verwandeln.
»Vorausgesetzt, der Kanonendonner hat ihn nicht geweckt«, fuhr Drake fort, »dürfte er jetzt mit einem schlimmen Kater aufwachen und sich fragen, ob ihm der Himmel auf den Kopf gefallen ist. Es ist fast schade, dass ich nicht dabei sein und sein Gesicht sehen kann, wenn er aus dem Fenster blickt und feststellt, dass sein neues Spielzeug verschwunden ist.«
»Ihr meint das zukünftige Flaggschiff Eurer Flotte, Admiral?«, fragte Abu Dun.
»Flaggschiff?« Drake sah sich demonstrativ um und schüttelte dann so heftig den Kopf, dass sein Dreispitz samt der Perücke tatsächlich herunterfiel und er ihn gerade noch auffangen konnte. »Oh nein. Dieses Monstrum wird ganz gewiss nicht mein neues Flaggschiff, mein Freund. Ich meine: Jemand könnte mich darauf erkennen, nicht wahr? Ich habe einen Ruf zu verlieren … wie immer er auch aussehen mag.«
»Obwohl es wahrlich unbesiegbar ist?«, beharrte Abu Dun.
»Es ist nicht unbesiegbar«, antwortete Drake, »sondern eine Monstrosität. So etwas gehört nicht auf die See. Und schon gar nicht als Flaggschiff einer Flotte, die unter britischer Fahne läuft … ganz davon abgesehen, dass ich nicht verrückt genug bin, mich und meine Männer selbst zur Zielscheibe zu machen. Ihr haltet dieses Schiff für unbesiegbar?« Er lachte. »Das Gegenteil ist der Fall, mein Freund. Jeder einzelne Kanonier wird dieses prachtvolle Ziel anvisieren. Diese Missgeburt wird nicht einmal die erste Schlacht überstehen, mein Wort darauf. Ich werde nie begreifen, wie es de Castello gelungen ist, König Philipp zum Bau dieses Schiffes zu überreden. Aber ich will mich nicht beschweren. Immerhin hat sein Bau ein hübsches Loch in die spanische Kriegskasse gerissen.« Selbstverständlich glaubte Andrej ihm kein Wort. Drake log nicht, aber er konnte auch nicht wissen, wer sich hinter der Maske des aufgeblasenen Gecken wirklich verbarg, in der Loki auftrat. Er hätte ihm sagen können, wie es de Castello gelungen war, König Philipp von Spanien zum Bau dieses aberwitzigen Schiffes zu überreden; ebenso, wie er ihn darüber hätte aufklären können, dass Loki gewiss nicht betrunken im Bett irgendeines Mädchens lag und gerade in diesem Moment mit einem Brummschädel aufwachte. Loki war hier an Bord, dessen war er jetzt sicherer denn je.
Einen Moment lang dachte er daran, Drake beiseitezunehmen und ihm die Wahrheit zu sagen, verwarf diesen Gedanken dann aber. Einmal ganz davon abgesehen, dass Drake ihm gar nicht glauben konnte würde Loki es nicht zulassen. Ebenso sicher, wie er spürte, dass der Unsterbliche an Bord des Schiffes war, spürte er, dass er Abu Dun, Drake und ihn genau in diesem Moment beobachtete. Und hierin irrte Drake: Andrej hatte gesehen, wozu dieses Schiff imstande war. Vermutlich war nicht einmal die EL CID – noch dazu mit halber Besatzung – dem Dutzend Kriegsschiffe gewachsen, das sie umgab, aber ein Gefecht mit Drakes Flotte würde weitere zahllose Opfer fordern, und für einen Tag war genug Blut geflossen, selbst für seinen Geschmack.
»Sehen wir uns wieder, Admiral?«, fragte Abu Dun. Drake hob abwehrend die Hand, mit der er dann sofort seine alberne Dreispitz-Perücke wieder aufsetzte. »Vergesst den Admiral, mein Freund«, sagte er rasch. »Und was Eure Frage angeht: Ich weiß es nicht, aber ich fürchte, so bald wird es nicht sein. Wir sollten nicht länger hierbleiben als nötig. Ich fürchte, die Spanier werden uns unseren kleinen Überraschungsbesuch von letzter Nacht ein wenig übel nehmen, und es sind noch genug von ihren Schiffen übrig, um uns einiges Kopfzerbrechen zu bereiten.«
»Wie viele habt Ihr erwischt?«, fragte Andrej. Drake hob nur die Schultern, aber hinter ihm sagte eine seltsam vertraute Stimme: »Einunddreißig standen in Flammen oder waren bereits gesunken, als wir aus dem Hafen gesegelt sind.«
Andrej drehte sich um und begrüßte

Weitere Kostenlose Bücher