Goettersterben
denken, und ließ seinen Blick über das knappe Dutzend Linienschiffe hinter ihnen schweifen. Nicht eines der britischen Schiffe war vollkommen ungeschoren davongekommen. Einzige wenige waren ernsthaft beschädigt, und das Vorderdeck eines gewaltigen Dreimasters hatte in hellen Flammen gestanden, als das Schiff aus der Morgendämmerung auftauchte, und brannte noch immer; die Mannschaft hatte Mühe, das Feuer zu löschen, hinderte es aber immerhin daran, weiter um sich zu greifen. Wie es aussah, dachte er, hatte sich die nahezu wehrlose Armada doch nicht ganz so ergeben zur Schlachtbank führen lassen, wie Drake und Rodriguez – der in Wirklichkeit Rogers hieß und Fregattenkapitän der englischen Kriegsmarine war – es sich vielleicht erhofft hatten.
Dennoch wusste Andrej, dass Drakes Flotte zwar Verluste erlitten hatte, doch was von diesem Teil der spanischen Armada noch übrig war, das verbrannte in diesem Moment zusammen mit einem Gutteil der Stadt oder sank auf den Grund des zerstörten Hafens. Der große Krieg zwischen Spanien und England, vor dem ganz Europa seit einem Jahrzehnt zitterte, war möglicherweise vorbei, bevor er überhaupt begonnen hatte.
Wieso hatte er nur das Gefühl, dass es zumindest zu einem Teil seine und Abu Duns Schuld war?
Und wieso machte es ihm überhaupt etwas aus? »Weil wir uns nicht einmischen, Hexenmeister«, sagte Abu Dun neben ihm, ohne ihn dabei anzusehen. »Wir könnten Geschichte schreiben, du und ich. Aber du weißt, dass wir es nicht dürfen. Andere wie wir haben es versucht. Du weißt, wie es geendet hat.«
Aber tatsächlich wusste er es nicht. Nach all den unzähligen Jahren, die sie nun zusammen waren, wurden die Rätsel größer, statt sich allmählich aufzulösen. Was, wenn sich Abu Dun irrte und die Welt in Wahrheit schon längst von Männern wie Loki regiert wurde?
Nein. Andrej rief sich zur Ordnung. Diesen Gedanken wollte er nicht denken. Wenn es so war, dann hatte nichts von alldem, was sie getan hatten und noch tun würden, irgendeinen Sinn gehabt.
»Kann man meine Gedanken wieder einmal so deutlich auf meiner Stirn ablesen?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Abu Dun. »Und vor allem dann, wenn du sie vor dich hin murmelst.«
»Habe ich nicht!«, behauptete Andrej empört. »Hast du doch«, sagte Abu Dun. »Aber mach dir nichts draus. Solch sonderbare Angewohnheiten kommen mit dem Alter. Irgendwann wirst du anfangen zu sabbern. Oder Schlimmeres.«
Andrej war nicht zum Spaßen aufgelegt und wollte auch Abu Duns gutmütige Sticheleien nicht hören, so sehr er sie sonst auch genoss. »Ich verstehe es nicht«, murmelte
er.»Dass du älter bist als ich?«, frotzelte Abu Dun weiter.
»Du musst es nicht verstehen. Akzeptier es einfach. Das Schicksal ist grausam. Selbst einem Unsterblichen gegenüber.« Er grinste. »Sogar einem uralten Unsterblichen gegenüber, der allmählich in die Jahre kommt.«
Andrej blieb ernst. Sein Blick tastete über die ramponierte Flotte, die rings um sie herum in Position ging und Segel zu setzen begann; wenigstens die, die sie noch hatten. Beiläufig fragte er sich, wie viele Männer wohl auf diesen Schiffen gestorben waren. Dutzende vermutlich, wenn nicht Hunderte. Doch wieder empfand er nichts bei diesem Gedanken. Menschen waren so unwichtig geworden.
Abu Dun schien wohl endlich begriffen zu haben, dass er nicht auf seine Sticheleien eingehen würde, und sah ihn mit plötzlich umso größerem Ernst an. »Was verstehst du nicht, Hexenmeister?«
»De Castello«, antwortete Andrej. »Loki. Ich weiß , dass er an Bord war. Ich habe ihn gespürt!«
»Du hast dich getäuscht, Hexenmeister«, antwortete Abu Dun. »Ich weiß zwar, wie schwer es Euch fällt, Sahib, aber selbst Ihr müsst einsehen, dass Euer unwürdiger Sklave möglicherweise recht hat und Ihr Euch im Irrtum befindet, oh Ihr strahlender Stern am Himmel des Abendlandes.«
»Ich habe mich nicht geirrt!«, beharrte Andrej, leise, aber ernst. »Ich habe ihm gegenübergestanden, Pirat. Ich weiß, wer er ist!«
»Dann hat er dich getäuscht, Andrej«, sagte Abu Dun seufzend. Er hob die Schultern. »Oder er wurde selbst genarrt. Verletzt es deinen Stolz als Unsterblicher, dass einer von uns von einem sterblichen Menschen hereingelegt worden sein könnte?«
»Er war an Bord«, beharrte Andrej. Selbst in seinen eigenen Ohren hörte er sich an wie ein Kind, das einfach nicht einsehen wollte, sich geirrt zu haben. Immerhin verzichtete er darauf, mit dem Fuß aufzustampfen. »Sieh es von der
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