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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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knappes Dutzend Männer – ausnahmslos bis an die Zähne bewaffnet – saß an den Rudern, und Andrej fragte sich vergeblich, was zum Teufel sie damit vorhatten. Sobald das Haltetau gekappt oder gelöst war, würde das Beiboot einfach wie weggezaubert verschwinden, so schnell, wie die beiden Schiffe nebeneinander herschossen.
Möglicherweise war Rogers zum selben Schluss gekommen, denn er richtete sich mühsam im Heck des auf und ab hüpfenden Bootes auf, hielt sich mit der linken Hand fest und hob mit der anderen noch einmal den Trichter vor den Mund.
    »Lieutenant!NehmtVernunftan!«, brüllte er. »Ihr habt keine Chance! Wenn Euch gerade doch wieder eingefallen ist, dass Eure Loyalität eigentlich König Philipp gehört, dann lasst uns in Ruhe darüber reden. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, dass Ihr nicht bestraft werdet! Gebt auf, und ich verspreche Euch, dass Ihr im nächsten Hafen als freier Mann von Bord gehen werdet! Aber setzt nicht das Leben Eurer Mannschaft aufs Spiel, ich beschwöre Euch!« »Was für ein Dummkopf«, seufzte Loki. Er hob die Hand, vermeintlich, um Rogers noch einmal spöttisch zuzuwinken, in Wahrheit aber wohl aus einem ganz anderen Grund. Andrej hielt den Atem an.
Das Einzige, was geschah, war, dass Rogers sich hastig wieder setzte – eigentlich plumpste er reichlich unsanft auf sein Hinterteil – und seinerseits die Hand hob. Ein halbes Dutzend mit Enterhaken versehener Seile flogen von Bord des Ruderbootes auf die EL CID zu. Zwei gingen fehl und verschwanden im schäumenden Wasser, aber der Rest verhakte sich zielsicher in der Reling. Statt nach ihren Rudern griffen die Männer beherzt nach den Seilen und begannen zu hangeln – wenigstens die Hälfte von ihnen. Der Rest packte mit grimmigem Ausdruck seine Musketen, um damit auf die drei einsamen Gestalten hinter der Reling der EL CID zu zielen. So wild, wie das Boot auf den Wellen auf und ab hüpfte, dachte Andrej, würden sie allerdings ihre liebe Not haben, auch nur den Ozean zu treffen, geschweige denn das Schiff. »Und ich dachte immer, ich wäre verrückt«, murmelte Abu Dun.
»Loki, ich beschwöre dich!«, sagte Andrej. Sein Mund war mit einem Mal so trocken, dass er Mühe hatte, die Worte herauszubringen.
»Ich will diese Schlacht nicht«, sagte Loki bedauernd. »Das ist keine Schlacht«, murmelte Abu Dun. »Das ist Mord.«
»Glaubt mir, ich wollte nicht, dass es so weit kommt«, seufzte Loki. Seltsamerweise konnte Andrej sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Bedauern in seiner Stimme durchaus echt war. Loki wollte diesen Kampf nicht, aus welchen Gründen auch immer.
Was ihn aber auch nicht daran hinderte, seine noch immer wie zu einem spöttischen Gruß erhobene Hand mit einem Ruck zu senken. Immerhin, begriff Andrej mit kaltem Entsetzen, hatte er Rogers’ Warnung nicht vergessen. Die EL CID feuerte eine volle Breitseite auf die KingGeorge ab, ohne dass sich die Kanoniere vorher die Mühe gemacht hätten, die Geschützklappen zu öffnen. Ein Chor aus gellenden Schmerz- und Schreckensschreien mischte sich in das markerschütternde Brüllen der doppelten Breitseite (Andrej musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass auch die zahllosen Kanonen auf der anderen Seite nur einen Sekundenbruchteil später gefeuert hatten) und er konnte spüren, wie mindestens ein halbes Dutzend Leben unter ihnen erlosch, noch bevor ihre eigenen Kugeln ihr Ziel trafen. Mindestens zwei Geschütze hatten auf Rogers Boot gezielt, und in einem winzigen Moment ungläubigen Entsetzens sah er, wie eine gewaltige Wassersäule hinter dem wendigen Boot aus dem Meer schoss; dann schlug die zweite, besser gezielte Kugel ein und verwandelte das Boot in eine auseinanderspritzende Wolke aus Trümmern, Feuer und zerfetztem Fleisch.
Dann verschwand die KingGeorge
Wo sie einen halben Lidschlag zuvor noch gewesen war, stieg nun ein brüllender Vulkan aus Feuer, brennenden Trümmern und blutigem Rot aus dem Meer. Feuer verschlang die Welt, und die Hitze war selbst hier noch so gewaltig, dass Andrej das Gesicht zur Seite drehen und blinzelnd die Hand über die Augen heben musste. Schlimmer noch als der Anblick des explodierenden Schiffes war das, was er spürte: den lautlosen Todesschrei Dutzender Seelen, die von einem Atemzug auf den anderen gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden; vielleicht auch Hunderter. Ein ungeheurer Donnerschlag rollte über das Meer, gefolgt von einer gewaltigen Druckwelle, die nicht nur Abu Dun und ihn von den Beinen fegte, sondern

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