Goettersterben
gewandt. »Das war ein Fehler«, sagte er ruhig. Sein Blick fixierte den Andrejs und hielt ihn fest. »Unsere Bekanntschaft stand von Anfang an unter keinem guten Stern, Andrej. Ich habe Fehler gemacht, wie mir heute klar ist. Ich hätte niemals versuchen sollen, dich zu töten oder dir … andere Dinge anzutun.«
Viele vor ihm, im Laufe ihres langen Lebens, dachte er bitter, hatten versucht, Abu Dun und ihn zu töten. Und noch mehr würden es versuchen, bis es irgendeinem am Ende gelingen würde. Er hatte es längst aufgegeben, es persönlich zu nehmen. Was er persönlich nahm, das waren die anderen Dinge, von denen Loki gesprochen hatte.
»Ich erwarte nicht, dass du mir vergibst, Andrej. Ich weiß, dass du das nicht kannst. Ich kann nur versuchen, es wieder gutzumachen, um auf diese Weise vielleicht deine Freundschaft zu erringen.«
Freundschaft? Aus Lokis Mund, dachte Andrej, hatte dieses Wort einen fast obszönen Klang. »Meine Freundschaft«, wiederholte er nachdenklich. Er trat einen halben Schritt von der Reling zurück und maß Loki mit einem langen, nachdenklichen Blick von Kopf bis Fuß, ehe er ihm wieder ins Gesicht sah. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie auf gleicher Höhe waren. Loki hatte wieder Brestos Gestalt angenommen, aber er hatte auch nicht der Versuchung widerstehen können, sich ein gutes Stück größer zu machen. Er fragte sich, ob Rogers dies drüben an Bord der KingGeorge wohl ebenfalls aufgefallen war, und wenn ja, welche Schlüsse er aus dieser Beobachtung ziehen mochte.
»Ihr seid wirklich unsterblich, habe ich recht?«, fragte er. »Ich meine: wirklich . Nicht wie Abu Dun und ich. Ihr lebt nicht einfach länger, sondern …«
»Bis in alle Ewigkeit, ja«, bestätigte Loki.
»Das ist gut«, antwortete Andrej. »Denn so lange wird es mindestens dauern, bis wir Freunde werden.« Loki zuckte die Achseln. »Die Ewigkeit ist lang. Vielleicht wirst du deine Meinung irgendwann ändern. Bis dahin reicht es mir, dich an meiner Seite zu wissen … und keine Sorge, Andrej. Ich werde dich gewiss nicht in Versuchung führen und dir noch einmal den Rücken zudrehen.«
»Niemals«, sagte Andrej.
»Ein Wort, mit dem man vorsichtig sein sollte«, erwiderte Loki. Er unterbrach sich, um einen kurzen Blick zur KingGeorge hinüberzuwerfen, bevor er weitersprach. Rogers hatte das Heck des Schiffes erreicht und spornte ein halbes Dutzend seiner Männer an, eines der schlanken Beiboote zu Wasser zu lassen. »Du wirst deine Meinung ändern, glaub mir. Und es wird nicht mehr lange dauern.«
»Nach den Maßstäben deiner Zeit gerechnet«, vermutete Andrej.
Wut blitzte in Lokis Augen auf und erlosch genauso schnell wieder, wie sie gekommen war. Er sah noch einmal zur King George hinüber, schien für einen Moment über etwas nachzudenken und wandte sich dann mit einem angedeuteten Nicken ganz zu Andrej um; als hätte er sich im Stillen eine Frage gestellt und sie auch gleich beantwortet. Er packte Andrej mit der linken Hand am Arm und deutete mit der anderen zum Bug des Schiffes, nach Westen und damit in die Richtung, in die das Schiff jagte.
»Willst du nicht wissen, wohin wir fahren, Andrej?«, fragte er.
»Du wirst es mir gleich sagen, nehme ich an«, sagte Andrej spröde.
»Ganz wie du willst«, antwortete Loki. »Auch wenn du es längst weißt, habe ich recht?«
»Der Horizont?«, schlug Abu Dun vor. »Aber nein, verzeiht, weiser Sahib. Ich bin ja nur ein dummer Kaffer. Zweifellos liegt dort das Ende der Welt.«
»Und der Anfang einer neuen«, bestätigte Loki. Sein Blick ließ Andrej nicht los. »Verstehst du, was ich sage, Andrej? Das ist nicht nur einfach ein anderes Land, sondern eine neue Welt, so groß wie unsere, und vielleicht noch größer. Und sie wartet nur darauf, dass jemand die Hand ausstreckt und sie sich nimmt.« »Und dieser Jemand bist du?«, vermutete Andrej. »Wäre dir König Philipp von Spanien lieber?«, fragte Loki. »Oder unsere neuen Freunde, die Briten?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Wir werden dorthin gehen, Andrej. Ich bin dieses Land mit seinen kleinlichen Kriegen und Streitereien leid. Sollen sie sich gegenseitig umbringen, wenn es ihnen Freude bereitet.«
»Ich verstehe«, sagte Andrej bitter.»Du ziehst eine Welt vor, in der du die Menschen umbringen darfst. Oder reicht es dir, sie nur zu versklaven?«
»Versklaven?« Loki sah ihn an, als glaube er, nicht recht verstanden zu haben. »Du sorgst dich um ihre Freiheit?« Er deutete auf die King George . »Sieh dir an, was
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