Goettersterben
gelassen und jetzt unübersehbar spöttisch zu. Andrej fragte sich ganz ernsthaft, ob der Unsterbliche wahnsinnig war. In einem gewissen Sinne war es wohl so. Aber wahnsinnig hieß nicht auch verrückt.
Und plötzlich wusste er, was geschehen würde. »Tu es nicht, Loki«, murmelte er. »Ich beschwöre dich, tu es nicht! Es ist nicht notwendig!«
»Ich fürchte doch, mein Freund«, seufzte Loki. »Dein schwarzer Freund hat recht, weißt du? Wir können ihnen nicht davonsegeln. Aber diese Entscheidung liegt bei Rogers, nicht bei mir.«
Wieder winkte er Rogers und der KingGeorge höhnisch zu, und das war anscheinend selbst für die gepflegten Manieren eines britischen Offiziers zu viel. »Dasistjetzt dieletzteWarnung,duverdammterBengel!«, brüllte er. »Du bist deines Kommandos enthoben, hast du das verstanden?«
Loki winkte nur noch einmal, und Rogers Stimme klang nun beinahe hysterisch. » Mister Peabody!Ich enthebe LieutenantBrestohiermitseinesKommandos!DieELCID gehört Ihnen! Legen Sie diesen dummen Jungen in KettenundstreichenSiedieSegel!IchkommeanBord!« Nichts geschah. Andrej ließ einige Sekunden verstreichen und sah sich unauffällig an Deck um. Er erblickte niemanden, der aussah, als könnte er Peabody heißen – um genau zu sein, sah er überhaupt niemanden mehr. Abgesehen von Abu Dun, Loki und ihm selbst war das Deck der EL CID wie leergefegt – vermutete aber, dass es sich um den Ersten Offizier der hastig zusammengestellten Mannschaft handelte. Er vermutete auch, dass Mister Peabody im Moment indisponiert war. Vielleicht für lange Zeit.
Rogers musste wohl zu demselben Schluss gekommen sein. Als er weitersprach, war der hysterische Unterton aus seiner Stimme verschwunden.
»Alsogut,ELCID«, rief er. »DasistdieletzteWarnung! Streicht die Segel und bereitet Euch auf ein Enterkommandovor!IhrhabteineMinute,bevorwirdas Feuereröffnen!« Er senkte den Trichter und trat von der Reling hinab, und unter ihm öffneten sich die Stückpforten der King George . Zwei Dutzend Kanonenläufe schoben sich drohend aus dem Rumpf des Kriegsschiffes, und Rogers hob noch einmal seinen Trichter. »Auch wenn Ihr es nicht verdient habt, Lieutenant,gebeichEuchnocheineletzteChance!Ich appelliereanEureVernunft,undwennnichtdaran,dann anEureVerantwortungfürdieMänner,dieunterEurem Befehlstehen!StreichtdieSegelundergebtEuch,undich sichereEucheinenfairenProzesszu!Ichkommejetztan Bord! Aber ich warne Euch! Wenn sich Eure GeschützklappenauchnureinenZollheben,eröffnenwir dasFeuer!«
»Ja, das dachte ich mir«, seufzte Loki. Rogers wandte sich mit einem Ruck um und verschwand in der Menge, und Loki schloss ergeben die Augen. »Wie gesagt, Andrej: Es ist nicht meine Entscheidung.«
»Ach nein?«, fragte Andrej bitter.
»Glaub bitte nicht, dass es mir Freude bereitet, Andrej«, antwortete Loki. »Aber Abu Dun hat recht: Wir hätten ihnen nicht davonsegeln können. Es muss sein.« Vielleicht war er für einen Moment unaufmerksam. Vielleicht ließ er es auch ganz bewusst zu. Gleichwie: Für einen unendlich kurzen Moment ließ er seinen geistigen Schild sinken, und Andrej konnte in den schwarzen Pfuhl blicken, der seine Seele war. Loki sagte die Wahrheit. Es bereitete ihm tatsächlich keine Freude, all diese Menschen zu töten. Es war viel schlimmer.
Es war ihm vollkommen egal. Er hätte die beiden Schiffe ziehen lassen, hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, sich ihrer zu entledigen, und mit einer beiläufigen Geste auch die hundertfache Anzahl an Menschen geopfert, wären sie seinen Plänen im Wege gewesen.
Warum tun wir nichts? , dachte Andrej verzweifelt. Sowohl Abu Dun als auch er waren bewaffnet, und Loki war vollkommen allein. Wahrscheinlich war er zehnmal stärker als sie beide zusammen, und nicht einmal Abu Dun und er gemeinsam waren ihm gewachsen … aber wann hatte sie das je abgehalten, es trotzdem zu versuchen? Warum taten sie nichts?
»Weil ich dich dann töten müsste, Andrej«, sagte Loki. »Und das will ich nicht.«
»Diesen Eindruck hatte ich nicht, als wir hergekommen sind«, sagte Abu Dun finster. Seine Hand lag auf dem Schwertgriff, aber Andrej wusste, dass er die Waffe so wenig ziehen konnte wie er selbst.
Loki zögerte einen Moment – während er aufmerksam zur immer noch näher kommenden King George hinübersah und Rogers im Auge behielt, der sich wütend gestikulierend einen Weg zum Heck zu bahnen versuchte –, bevor er antwortete. Und er tat es auch nicht an Abu Dun gerichtet, sondern direkt an Andrej
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