Goettersterben
auch den Unsterblichen. Irgendetwas … flackerte hinter Abu Dun in der Luft und war wieder verschwunden, bevor sein Blick es wirklich erfassen konnte, dann krümmte er sich hastig zu einem Ball zusammen und schlug schützend die Arme über den Kopf, als rings um sie herum ein tödlicher Regen aus brennenden Trümmerstücken auf das Deck prasselte. Etwas wie ein unterdrückter Schmerzensschrei drang an sein Ohr, der weder von Abu Dun noch von Loki stammte, sondern geradewegs aus dem Nichts zu kommen schien.
Ein mehr als meterlanger Speer aus brennendem Holz bohrte sich kaum eine Handbreit vor seinem Gesicht in die Decksplanken und ließ ihn den vermeintlichen Schrei vergessen. Viel zu spät, aber doch rasend schnell rollte er herum und auf die Füße und streckte zugleich die Hand aus, um Abu Dun aufzuhelfen.
Erst als er die Bewegung fast zu Ende geführt hatte, bemerkte er seinen Irrtum. Es war nicht Abu Dun, sondern Loki. Instinktiv wollte er die Hand zurückziehen, aber Loki war schneller, griff seinerseits zu und hätte ihn um ein Haar schon wieder aus dem Gleichgewicht gerissen, als er sich von ihm auf die Beine helfen ließ. Eine halbe Sekunde später mussten sie beide hastig nach der Reling greifen und sich daran festklammern, um nicht zu stürzen, als eine gewaltige Woge am Rumpf der EL CID zerstob und sie mit eisigem Wasser überschüttete. »Verdammter Narr!«, brachte Loki keuchend hervor. Er spuckte einen Mundvoll Wasser aus und ließ behutsam seinen Halt los. »Warum konnte er nicht einfach aufgeben? Das wollte ich nicht!«
Andrej glaubte ihm. Und er war auch ziemlich sicher, dass er das, was danach geschah, noch sehr viel weniger gewollt hatte.
Vom Himmel regneten noch immer Trümmer, brennendes Holz und glühende Segelfetzen und flockige graue Asche, und alles, was von der waidwunden King George noch zu sehen war, war eine gewaltige brodelnde Rauchwolke, in der es immer wieder grell und unheimlich aufblitzte wie das Wetterleuchten eines fernen Gewitters. Dann stach eine einzelne grelle Lanze aus rotorangefarbenem Feuer aus der kochenden Wand, züngelte zu ihnen herauf und gebar den Tod.
Es war eine Eins-zu-einer-Million-Chance, ungefähr so wahrscheinlich, wie in einer Stadt von der Größe Cádiz’ auf den einzigen britischen Spion zu treffen, der durch die Maschen der spanischen Geheimpolizei geschlüpft war, aber trotzdem geschah es: Die fünfzehn Pfund schwere Kanonenkugel raste in steilem Winkel zu ihnen herauf, zertrümmerte die Reling zwischen ihnen und riss Lokis rechten Arm dicht unterhalb des Ellbogens ab. Loki kreischte, fiel auf den Rücken und begann wie tollwütig mit Armen und Beinen um sich zu schlagen, und etwas … geschah.
Andrej taumelte, diesmal nicht unter dem immer wilder werdenden Schwanken und Stampfen des Schiffes, sondern weil plötzlich etwas … nicht mehr da war; als wäre ein eiserner Vorhang zwischen ihm und der Welt weggezogen worden, der alle seine Sinne betäubt hatte, ohne dass er ihn auch nur bemerkte. Alles war … anders. Plötzlich spürte er den Salzwassergeruch der Luft, den Gestank von brennendem Holz und heißem Metall und Blut, fühlte den grausamen Biss der Sonne und das Stampfen und Bocken der Decksplanken unter seinen Füßen und tausend andere Dinge, und jedes Einzelne davon tausendmal intensiver als noch vor einem Atemzug. Die Welt zerrann, ordnete sich neu und anders und prügelte mit schreienden Fäusten auf ihn ein, als wäre er jäh aus einem tiefen Traum gerissen und ins Zentrum eines tobenden Orkans geschleudert worden. Kanonen donnerten. Feurige Lanzen stachen nach dem Rumpf des Schiffes, hämmerten in seine Flanken und zerfetzten die Segel über ihren Köpfen, und er spürte weiteres Sterben, noch mehr Leid und Schmerz und panische Angst. Andrej torkelte, fiel schwer gegen die gesplitterte Reling und sah wie durch einen Nebel aus Blut hindurch, wie sich Abu Dun neben ihm benommen auf Hände und Knie rappelte. Vielleicht erging es ihm genau wie ihm. Vielleicht ging hier auch etwas ganz anderes und Schlimmeres vor.
Die KingGeorge feuerte erneut, und auch hinter ihnen brüllten die Kanonen des zweiten Schiffes auf. Das Schiff erzitterte unter dem Einschlag der Geschosse, die zwar zum größten Teil an der zwei Fuß dicken Eichenpanzerung der El CID abprallten, ihren Weg aber auch in offene Geschützluken fanden, Takelage und Segel zerfetzten oder die Deckaufbauten in Stücke rissen. Überall war Feuer, regneten Trümmer und scharfkantiger Tod vom
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