Goettersterben
Schwert in der Hand geboren waren und zweifellos irgendwann einmal auch durch das Schwert sterben würden – so, wie sie ihre nach Jahrhunderten zählenden Leben verbracht hatten. Er hatte kein Problem mit dem Krieg oder dem Tod. Aber diese Schiffe standen für etwas anderes, eine Zukunft, in der nicht mehr der Mann zählte und das Schwert oder der Speer in seiner Hand.
»Andrej?«, fragte Abu Dun.
Erst mit einiger Verzögerung begriff Andrej, dass sein Freund nicht nur seinen Namen genannt, sondern damit auch zugleich eine Frage ausgesprochen hatte. »Schon gut«, sagte er. Seine Stimme klang belegt. »Ich war nur … überrascht.«
»Ja, so groß hätte ich sie mir auch nicht vorgestellt«, pflichtete ihm Abu Dun wenig überzeugend bei. »Und das sind noch längst nicht alle. Schau dorthin.« Andrej gehorchte – auch wenn es ihm schwerfiel, seinen Blick von den riesigen Schiffen zu lösen – und sah in die Richtung, in die Abu Duns ausgestreckte Hand wies. Das Dutzend Linienschiffe allein sprengte zwar schon fast das Fassungsvermögen des Hafens, aber es stellte nicht einmal einen Bruchteil der Flotte dar, die sich hier versammelt hatte. Viele davon, aber längst nicht alle, waren moderne Linienschiffe wie die, die über ihnen emporragten, ein überraschend großer Teil ganz offensichtlich gerade erst erbaut und in Dienst gestellt. Aber es gab auch eine erstaunliche Anzahl anderer Schiffe: Galeonen, schlanke, für Schnelligkeit gebaute Segler, plumpe Frachtschiffe, deren Decks in aller Hast mit Kanonen bestückt worden waren, und sogar eine Anzahl altertümlich anmutender Galeeren, die sich in der Zeit verirrt zu haben schienen und unangenehme Erinnerungen in Andrej wachriefen. Er erblickte eine erstaunlich geringe Zahl von Menschen auf den Decks der Schiffe, dafür umso mehr auf den Kais und in den angrenzenden Straßen.
»He, ihr da!«, keifte es hinter ihnen. Abu Dun tat, als habe er nichts gehört, während Andrej ganz bewusst eine oder auch zwei Sekunden verstreichen ließ, bevor er sich betont langsam umdrehte.
Ein kleines rundes Männchen mit ungepflegtem, langem Haar, schmutzigem Bart und ebensolchen Kleidern wuselte auf sie zu und gestikulierte dabei so heftig mit Armen und Händen wie eine Marionette, deren Spieler vom Veitstanz befallen waren. »Ja, ihr zwei da! Der Lange und der Schwarze! Was habt ihr hier verloren?« »Nichts«, antwortete Abu Dun, der sich jetzt nicht nur zu seiner vollen Größe von nahezu sieben Fuß aufrichtete, sondern sich auch noch dazu auf die Zehenspitzen reckte, um auf den wuselnden Zwerg hinunterzusehen. »Wenn wir etwas verloren hätten, dann würden wir ja danach suchen, nicht wahr?«
»Schau an, was haben wir denn da?«, fragte der Knirps. Weder Abu Duns Größe noch Andrejs zumindest im Moment martialisches Aussehen schienen ihn sonderlich zu beeindrucken. »Einen richtigen Schlaumeier, wie? Also, Kerl – wer seid ihr, und was steht ihr hier rum und haltet Maulaffen feil?«
Abu Dun sah plötzlich gar nicht mehr so freundlich aus wie noch vor einem Moment, doch Andrej bedeutete ihm rasch zu schweigen und wandte sich ruhig an den kleinen Mann. »Mein Name ist Andrej«, sagte er. »Das ist Abu Dun. Wir suchen die Hafenmeisterei.«
»Und ihr glaubt, sie kommt angelaufen, wenn ihr nur lange genug dasteht und Löcher in die Luft starrt?«, vermutete der Kleine.
»Colonel Rodriguez hat uns gesagt, dass wir dort vielleicht Arbeit finden«, antwortete Andrej. »Könnt Ihr uns den Weg zur Hafenmeisterei weisen? Wir sollen dort nach Pedro fragen.«
»Den Weg könnt ihr euch sparen«, antwortete der Knirps. »Ich bin Pedro. Der Colonel schickt euch, sagst du? Ist das auch die Wahrheit?«
»Sehen wir aus, als würden wir einen Mann wie Euch belügen, Señor?«, fragte Abu Dun verschnupft. »Ganz bestimmt sogar«, versetzte Pedro. »Aber es würde euch nicht viel nutzen. Ihr braucht Arbeit?« »Eigentlich brauchen wir Geld«, erwiderte Abu Dun trocken. »Wenn Ihr wisst, wo wir welches bekommen, ohne dafür arbeiten zu müssen, dann soll es uns auch recht sein.«
»Nicht nur ein Schlaumeier, sondern auch noch ein Witzbold«, sagte Pedro verdrossen. »Auf so einen haben wir gerade noch gewartet. Aber du siehst aus, als könntest du zupacken, und dein Freund …« Er trat zwei Schritte zurück und legte den Kopf in den Nacken, um Andrej einer gründlichen Inspektion zu unterziehen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien ihm das, was er sah, nicht unbedingt zu gefallen. »Du
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