Goettersterben
Rodriguez gegangen war … nicht, ohne vorher zackig salutiert zu haben. »Mein Glaube an die Ehrlichkeit der Menschen hat gerade einen gehörigen Knacks bekommen. Vor allem an die Ehrlichkeit des Militärs.«
»Ich fürchte, beides schließt sich gegenseitig aus«, sagte Andrej.
»Ehrlichkeit und Militär?«
»Ehrlichkeit und Menschen «, antwortete Andrej. Nachdenklich sah er in die Richtung, in die Rodriguez verschwunden war. Er war verwirrt. Keinen Moment hatte er daran geglaubt, dass Rodriguez rein zufällig gerade jetzt und an diesem Ort aufgetaucht war, und eigentlich sollte er Misstrauen empfinden. Er wollte es sogar empfinden. Aber es gelang ihm nicht. Rodriguez war nicht das, wofür er sich ausgab, das war ihm klar, aber irgendetwas sagte ihm auch, dass er nicht ihr Feind war. Doch was er tatsächlich war, das wusste Andrej immer noch nicht.
Abu Dun räusperte sich laut. »Soll ich deinem neuen Freund nachlaufen und ein Tête-à-tête für euch vereinbaren? Wenn ich mir ein bisschen Mühe gebe, finde ich bestimmt auch noch einen Händler, bei dem ich einen Strauß Blumen kaufen kann … oder nehmen wir das Angebot des Halsabschneiders an und sprechen mit diesem Pedro?«
Es dauerte einen Moment, bis Andrej begriff, was Abu Dun meinte. »Moment«, sagte er. »Du willst doch nicht wirklich …?«
»… arbeiten?« Abu Dun nickte heftig. »Doch. Es sei denn, du willst die nächste Nacht im Freien schlafen und dir das Essen abgewöhnen.«
»Das ist ausgesprochen komisch«, maulte Andrej. »Nein«, antwortete Abu Dun … »Das ist Cádiz.« Andrej warf ihm den bösesten Blick zu, zu dem er sich in der Lage sah, riss sich endlich vom Anblick der leeren Gasse hinter ihnen los und trat als Erster mit einem großen Schritt in den eigentlichen Hafen hinaus. Allerdings nur, um nach einem einzigen weiteren Schritt so abrupt innezuhalten, dass Abu Dun eine albern anmutende Verrenkung aufführen musste, um nicht gegen ihn zu prallen und ihn über den Haufen zu rennen. Obwohl es kaum eine Stadt in der bekannten Welt gab, in der sie noch nicht gewesen waren oder von der sie nicht zumindest gehört hatten, gehörte Cádiz doch dazu. Andrej wusste wenig mehr über diesen westlichsten spanischen Hafen, als dass es ihn gab; doch er wusste auch, dass es einer der modernsten und wehrhaftesten Häfen der westlichen Welt war.
Im Moment kam er ihm allerdings eher vor wie eine ummauerte Pfütze.
Zu einem Gutteil lag dieser Eindruck sicherlich an dem Dutzend gewaltiger Linienschiffe, die sich so präzise wie an einer Maurerschnur aufgereiht an der Kaimauer drängten, drei Etagen hohe Ungetüme mit Dutzenden und Dutzenden von Geschützpforten, deren Masten sich weit über die höchsten Dächer des Hafenviertels reckten, wenn nicht gar der ganzen Stadt, als wollten sie sie erdrücken. Im allerersten Moment fragte er sich, ob er überhaupt etwas von Menschen Gemachtes vor sich hatte, kamen sie ihm doch eher vor wie Boten aus einer düsteren Zukunft, in der Menschen wie Abu Dun und er keine Rolle mehr spielten, und in der nur noch Dinge zählten, nicht mehr die, von denen sie gemacht worden waren.
»Beeindruckend, nicht?«, fragte Abu Dun neben ihm. Andrej hätte gern ein anderes Wort gewählt … auch wenn er nicht wusste, welches. Diese gigantischen Konstruktionen machten ihm Angst.
Es war das erste Mal, dass er ein solches Ungetüm von Schiff aus der Nähe sah. Natürlich wusste er, was ein Linienschiff war; er hatte davon gehört und alles in Erfahrung gebracht, was er nur konnte. Aber es war eine Sache, zu wissen, das etwas existiert, und eine gänzlich andere, es tatsächlich vor sich zu sehen.
Diese Schiffe waren … monströs, das war das einzige Wort, das ihm einfiel, sie zu beschreiben.
Es war nicht nur ihre Größe – auch wenn diese zweifellos beeindruckend war –, sondern das, wofür sie standen: gigantische Vernichtungsmaschinen, lang wie ein Häuserblock und mindestens doppelt so hoch. Monster mit hundert Kanonen auf jeder Seite und hunderten und aberhunderten Mann Besatzung, die zu keinem anderen Zweck erschaffen worden waren als dem, Feuer und Tod über die Menschen zu bringen. Jedes Einzelne dieser Ungetüme war zweifellos in der Lage, ganz allein eine Stadt von der Größe Cádizs in Schutt und Asche zu legen, und jedes einzelne trug eine kleine Armee von Soldaten in seinem riesigen Leib. War das die Zukunft, die auf sie alle wartete?, dachte Andrej schaudernd. Abu Dun und er waren Krieger, Männer, die mit dem
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