Goettersterben
breitete es wie eine Decke über den reglosen Körper, der in entwürdigender Haltung neben ihm lag.
»Nur diese beiden?«, fragte er.
»Für meinen Geschmack hat es gereicht«, fauchte Andrej. »Wo zum Teufel bist du gewesen?«
Statt zu antworten, ließ sich Abu Dun neben der Toten auf ein Knie hinab, drehte ihren Kopf auf die Seite und sah kurz, aber sehr konzentriert in ihr Gesicht, Vorwurf im Blick, als er wieder aufstand. »Nur diese beiden?«, fragte er noch einmal.
Andrej deutete auf die drei anderen Toten. »Sie und …« »Nur diese beiden Vampyre?«, unterbrach ihn Abu Dun scharf.
Andrej nickte. Wahrscheinlich war es besser, wenn er schwieg. Abu Dun wirkte äußerlich ruhig, aber er kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie sehr dieser Eindruck täuschen konnte. »Ja«, sagte er knapp.
»Könnten es diese beiden gewesen sein, deren Nähe wir gespürt haben?«
Andrej überlegte einen Moment – widerwillig – und schüttelte dann den Kopf. »Kaum. Über den anderen kann ich nicht viel sagen, aber das da …«
»… war noch ein halbes Kind?«, fiel ihm Abu Dun ins Wort.
Andrej schwieg. Unverwandt starrte er Abu Dun an, und der Nubier erwiderte seinen Blick so kalt und voller Verachtung, dass sich in Andrejs Kehle plötzlich ein bitterer Kloß bildete, der ihm das Atmen schwer machte. Hinter seiner Stirn tobte noch immer ein Sturm einander widersprechender Gefühle und Gedanken, aber die fremde, rasende Gier begann ganz allmählich zu verebben. Und zurück ließ sie einen sehr bitteren Nachgeschmack.
»Also gut«, sagte Abu Dun schließlich. »Ist alles in Ordnung mit dir?« Andrej nickte, und Abu Dun zeigte in die Runde: »Dann räum das Durcheinander hier weg. Lass die Leichen verschwinden. Ich habe keine Lust, neugierige Fragen zu beantworten. Und dann warte hier auf mich.«
»Und du?«, fragte Andrej.
»Ich hole unseren Lohn«, antwortete Abu Dun. »Oder hast du Lust, heute Abend wieder nur altes Brot und eine Handvoll trockener Rosinen zu essen?«
Wortlos sah Andrej Abu Dun nach.
Was hätte er auch sagen sollen?
Dass er plötzlich gar nicht mehr hungrig war?
V
erglichen mit vielem – eigentlich dem meisten –, was sie in den letzten Wochen gegessen hatten, kredenzte ihnen der Wirt des Goldenen Eber an diesem Abend ein wahres Festmahl – selbst wenn es auch dieses Mal kaum mehr als hart gebackenes Brot, Käse und einige wenige Scheiben Schinken waren. Es schmeckte dennoch köstlich, und vor allem Abu Dun (der an diesem Tag ja auch den Großteil der Arbeit geleistet hatte) griff nach Kräften zu und vertilgte eine Portion, die selbst Andrej Respekt abnötigte. Er selbst aß wenig, und selbst dieses Wenige nur, um Abu Duns Argwohn nicht noch anzustacheln.
Ganz, wie er es angekündigt hatte, war der Nubier zum Hafenmeister zurückgegangen, um ihren Lohn zu holen, und hatte ihm anschließend geholfen, die Leichen verschwinden zu lassen. Die ganze Zeit über hatte er kein einziges Wort mit ihm gesprochen.
Er blieb auch während des Essens und der guten Stunde danach, die sie noch bei einem Bier beieinandersaßen und den Gesprächen der immer betrunkener und lauter werdenden Gäste des Goldenen Ebers lauschten, ungewohnt schweigsam und sah Andrej nur an, wenn er es unbedingt musste. Doch als es Andrej schließlich zu viel wurde und er aufstehen wollte, um in ihr fürstliches Quartier hinter dem Pferdestall zu gehen, packte er ihn schnell und stieß ihn so derb auf seinen Schemel zurück, dass mehr als einer der anderen Gäste sein Gespräch unterbrach und erstaunt (oder auch ein wenig erschrocken) in ihre Richtung sah.
»Was soll das?«, fragte Andrej scharf.
»Setz dich«, antwortete Abu Dun, schon beinahe gefährlich leise und in einem wenig geläufigen persischen Dialekt, von dem Andrej sicher war, dass sie beide in diesem Teil der Welt die Einzigen waren, die ihn beherrschten. Vielleicht nicht nur in diesem Teil. »Ich kann mich irren, aber ich glaube, ich sitze bereits«, antwortete Andrej.
»Und das wirst du auch weiter. Wir haben zu reden.« »Und worüber?«
»Ich dachte, das wüsstest du«, erwiderte Abu Dun ruhig. »Ich habe über das nachgedacht, was du erzählt hast. Du hast mir doch alles gesagt, oder?«
Alles, was sich abgespielt hatte, dachte Andrej. Nicht alles, was mit ihm geschehen war. Er nickte.
»Dann wird mir vielleicht einiges klar«, sagte Abu Dun. »Und was?«
Statt zu antworten, griff der Nubier unter seinen Mantel und zog etwas hervor, das Andrej erst erkannte, als er es
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