Goettersterben
Hafenmeister machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die Hälfte von allen hier hat keine Papiere, und die andere Hälfte besitzt gefälschte«, sagte er. »Ein Grund mehr, nicht hier zu warten. Kommt mit. Sobald die Soldaten verschwunden sind, bringe ich euch auf die EL CID. Ihr wolltet doch mit dem Maat sprechen, nehme ich an?«
Andrej nickte zwar, konnte seine Überraschung aber auch nicht ganz verhehlen. »Du willst uns begleiten?« »Sicher«, antwortete Pedro. »Allein kommt ihr niemals an Bord des Schiffes. Und außerdem muss doch jemand achtgeben, dass ihr dem armen Jungen nicht wehtut.« Plötzlich grinste er wieder. »Nicht allzu sehr, wenigstens.«
Pedro hatte sie auf Umwegen und durch ein Labyrinth schmaler Gässchen und verborgener Durchgänge in ein leer stehendes Gebäude geführt, und dann in einen übel riechenden, von Ratten und anderem Ungeziefer verseuchten Verschlag, in den Andrej nicht einmal seinen schlimmsten Feind gesteckt hätte, und aus den zwei Stunden, von denen er gesprochen hatte, waren mehr als drei geworden, in denen sie in vollkommener Dunkelheit dagesessen und gewartet hatten. Abu Dun hatte in der ganzen Zeit kaum geredet, aber Andrej war das nur recht gewesen. Er kannte Abu Dun gut genug, um zu wissen, wie wenig Sinn es ergab, ihm jetzt auch nur eine einzige Frage zu stellen. Der Nubier würde von sich aus reden, wenn er es wollte – oder auch gar nicht. Doch er spürte auch eine Veränderung an seinem Freund, die ihn in Unruhe versetzte.
Vielleicht war jetzt der Moment gekommen, den er insgeheim schon seit Jahren gefürchtet hatte.
Andrej hatte längst aufgehört, die Jahre zu zählen, die er nun schon auf der Jagd nach Loki war, aber es waren viele.
Vielleicht zu viele. Abu Dun war ihm klaglos einmal durch die bekannte Welt und zurück gefolgt, hatte zahllose Kämpfe an seiner Seite gefochten, hatte mit ihm gelitten, geblutet und gebangt, und jede einzelne der zahllosen Enttäuschungen, die er nach ebenso zahllosen Hoffnungen erlitten hatte, war auch die seine gewesen. Er hatte sich niemals beklagt, niemals auch nur ein einziges Wort der Kritik geäußert und stets alles getan, was er von ihm verlangt hatte, obwohl es viel gewesen war. Zu viel.
Tief in seinem Herzen hatte Andrej stets gewusst, dass der Moment kommen würde, an dem sein Freund dieses Leben satt hatte. Seit sie zusammen waren, waren sie Heimatlose, wenig mehr als Vagabunden, die von einem Schlachtfeld zum nächsten zogen, von einem Leben zum anderen, und wussten, dass sie nirgendwo hingehörten. Aber seit er die Jagd auf den abtrünnigen Gott begonnen hatte, hatte sich ihr Leben geändert. Weiter zogen sie von Ort zu Ort und von Land zu Land, doch jetzt ließen sie sich nicht mehr vom Schicksal treiben und warteten voller Neugier darauf, was der nächste Tag bringen würde. Sie waren Gehetzte, besessen von dem einen Gedanken, einen Mann zu finden und zu töten, der vielleicht nicht einmal getötet werden konnte.
Vielleicht war das der grundlegende Fehler, dachte Andrej. Es war allein seine Obsession, der sie seit Jahren folgten, seine Rache und sein Kampf, nicht der des Nubiers. Welches Recht hatte er, von dem einzigen Menschen auf der Welt, der ihm wirklich etwas bedeutete, zu verlangen, möglicherweise sein Leben, mit Sicherheit aber eine ganze Lebenszeit zu opfern, um seine Rache zu befriedigen?
Andrej kam zu einem Entschluss, während sie in der stinkenden Dunkelheit saßen und darauf warteten, dass Pedro zurückkehrte. Ganz gleich, wie diese Geschichte ausgehen würde, seine Jagd würde hier ihr Ende finden. Vielleicht, indem er Loki stellte und tötete, vielleicht, indem er von ihm gestellt und getötet wurde. Aber auch wenn keines von beiden geschah, würde er aufhören. Er war des Jagens müde, und vielleicht gab es ja doch noch wichtigere Dinge im Leben als Rache.
Etwas scharrte.
Andrej fuhr aus seinen Gedanken hoch und stellte fest, dass Abu Dun das Geräusch schon vor ihm gehört haben musste, denn er hatte sich bereits kerzengerade aufgerichtet und lauschte. Seine Hand lag auf dem Schwertgriff an seinem Gürtel. Andrej stellte verwundert fest, dass er all dies in der vollkommenen Dunkelheit ausmachen konnte, denn selbst seine Augen benötigten ein Mindestmaß an Licht. Dennoch konnte er die Umrisse des Nubiers neben sich deutlich erkennen, und sogar den angespannten Ausdruck auf seinem Gesicht.
Andrej stand lautlos auf und zog Gunjir unter dem Mantel hervor. Sofort begann das Schwert in seiner Hand zu
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