Goettersterben
flüstern.
Auch Abu Dun erhob sich, fast so fließend und schnell wie Andrej. Sein Blick wanderte hin und her, ohne etwas zu finden, woran er sich festhalten konnte. Er orientierte sich nur an Geräuschen, begriff Andrej.
»Jemand kommt«, flüsterte Andrej.
»Zwei.« Abu Dun nickte, wandte sich vollends in die Richtung, aus der Andrejs Stimme gekommen war, und verbesserte sich: »Drei.«
Andrej hatte die unterschiedlichen Schritte und Atemzüge der drei Männer schon registriert, aber er spürte auch noch weit mehr. Alle drei Männer (er konnte tatsächlich riechen, dass es Männer waren) waren nervös und hatten große Angst, und mindestens einer hatte Übles im Sinn. Er konnte nicht sagen, was, aber seine Gegenwart schien einen schlechten Geschmack zu haben, wie der sachte Geruch nach Verwesung, der das frische Aroma des Waldes durchdringt, ohne dass man die genaue Richtung benennen konnte, aus der er kam. Andrej beschloss, noch mehr auf der Hut zu sein. Andrej wandte sich hastig nach links und bedeutete Abu Dun, in die entgegengesetzte Richtung zurückzuweichen. Obwohl der Nubier die Bewegung nicht sehen konnte, reagierte er sofort und zog noch im Herumdrehen sein Schwert. Dann warteten sie mit angehaltenem Atem. Sie mussten sich nur einen kurzen Moment gedulden. Die Schritte und gedämpften Atemzüge kamen näher, dann klimperte etwas, und eine Haarlinie aus Licht fiel in den Raum und wurde rasch zu einem Keil aus staubiger Helligkeit, die nur matt war, in seinen an die lange Dunkelheit gewöhnten Augen aber trotzdem schmerzte. Instinktiv hob er die Hand, um sein Gesicht zu schützen, und jemand sagte leicht erschrocken: »Ich bin es nur, Pedro. Nehmt die Waffen herunter … bitte.«
Andrej gehorchte, senkte aber zugleich auch den Kopf, um nicht direkt in die schmerzende Helligkeit sehen zu müssen, die Pedros Gestalt in eine schwarze Silhouette mit grell lodernden Konturen verwandelte.
»Tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet«, fuhr Pedro fort. Seine Stimme klang sehr nervös. »Aber es hat länger gedauert, als ich dachte. Einem der Gefangenen ist die Flucht gelungen, und sie haben den ganzen Hafen abgeriegelt und Haus für Haus durchsucht.«
»Haben sie ihn wieder eingefangen?«, erkundigte sich Abu Dun.
»Nein«, antwortete Pedro. »Er ist lieber ins Wasser gesprungen und hat sich erschießen lassen.« Er hob die Schultern. »Ist wahrscheinlich besser für ihn. Auf einen Fluchtversuch steht die Garotte. Kein angenehmer Tod.« Er trat einen halben Schritt zurück, wodurch das einfallende Tageslicht noch greller wurde. »Kommt jetzt. Es ist alles wieder ruhig, aber die Posten sind immer noch nervös. Versucht euch unauffällig zu verhalten.« Eine gute Idee, dachte Andrej – aber wie verhielten sich ein einäugiger Krieger und ein sieben Fuß großer Schwarzer unauffällig?
Er schob sich an Pedro vorbei ins Freie und streifte dabei wie versehentlich die Schulter des hochgewachsenen Burschen, der sich hinter Pedro in den Raum gedrängt hatte. Er spürte Furcht und ein neuerliches, jähes Erschrecken, aber keinerlei Heimtücke. Der Verräter, den Pedro mitgebracht hatte, wartete draußen auf sie. Andrej schob sein Schwert zwar wieder unter den Mantel, während er an dem zweiten Mann vorbei und gänzlich ins Freie trat, blieb aber wach und kampfbereit. Seine offensichtlich noch einmal verbesserte Sehkraft richtete sich im ersten Moment gegen ihn. Sie standen nicht im Freien, sondern befanden sich in einer hohen, mit allerlei Gerümpel und Unrat vollgestopften Halle, durch deren halb eingestürztes Dach grelles, unbarmherzig gleißendes Sonnenlicht hereinfiel, aber nach der vollkommenen Schwärze des Verschlages stach das Licht wie ein Messer in seine Augen. Fluchend hob er die Hand vor das Gesicht, trat instinktiv einen Schritt zurück und registrierte zu spät, dass er sich so angreifbar gemacht hatte. Ein schwerer Fehler, der ihm nicht hätte unterlaufen dürfen.
Er hatte jedoch keinen Angriff zu erwarten. Der heimtückische Verräter, den Pedro mitgebracht hatte, war ein zehn- oder elfjähriger dunkelhaariger Knabe, der ihn aus vor Furcht dunklen Augen anstarrte. Andrej erwiderte seinen Blick einen Moment lang, schalt sich in Gedanken einen hysterischen Narren und versuchte ein beruhigendes Lächeln. Der Reaktion des Knaben nach zu schließen, gelang es ihm jedoch nicht recht. »Das ist Fernando, mein Sohn«, sagte Pedro, der hinter Abu Dun als Letzter in die Halle trat. »Er hat darauf bestanden
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