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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Becher.
Andrej griff dankbar zu, und zu seinem Erstaunen nahm auch Abu Dun den angebotenen Becher entgegen. Nachdem Andrej den ersten Schluck probiert hatte, wusste er, dass der Nubier diese Entscheidung nicht bereuen würde. Abu Dun aber nippte (ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten) nur und blickte mit steinernem Gesicht weiter auf den Platz hinab. Die Menge dort unten war noch einmal größer geworden, und Andrej meinte, die Volksfeststimmung sogar hier oben zu spüren. Ein kleiner, morbider Teil von ihm erwartete fast, dort unten die ersten Gaukler auftauchen zu sehen, oder Verkaufsstände, an denen gebratenes Fleisch und Glühwein feilgeboten wurden.
»Sie werden gleich gebracht«, sagte Rodriguez, der Andrejs Blick bemerkt und offensichtlich falsch interpretiert hatte.
»Sie?«
Rodriguez deutete auf das Podest im Zentrum der Menschenmenge, und Andrej fiel erst jetzt auf, dass dort nicht ein, sondern drei mannshohe Pfosten aufgerichtet worden waren, vor denen jeweils ein niedriger Schemel stand. Seine scharfen Augen sagten ihm, dass sie am Boden festgeschraubt waren. »Es finden drei Exekutionen gleichzeitig statt«, sagte er. »Ein Mörder und ein Dummkopf, der sich beim Einbruch in ein Munitionsdepot hat erwischen lassen.«
»Ihr richtet einen Mann hin, weil er ein Fass Pulver stehlen wollte?«, fragte Abu Dun.
»Es war ein bisschen mehr als ein Fass«, antwortete Rodriguez achselzuckend. »Außerdem ist Krieg. Da fällt so etwas rasch unter Hochverrat, und darauf steht nun einmal der Tod.«
Zum ersten Mal, seit der Colonel hereingekommen war, sah Abu Dun ihn an. »Also ist ein Menschenleben bei euch weniger Wert als ein paar Fass Pulver?«
Rodriguez nahm ihm die Frage nicht übel. »Ist das dort, wo du herkommst, anders, Vater des Todes?«, fragte er. Abu Dun starrte ihn an, und auch Andrej brauchte eine oder zwei Sekunden, um zu begreifen, was Rodriguez gerade gesagt hatte. »Ihr … wisst, was Abu Duns Name bedeutet, Colonel?«, fragte er. Rodriguez wirkte jetzt nicht mehr amüsiert, sondern griente ganz unverhohlen schadenfroh. »Ich spreche ein paar Brocken Eurer Sprache«, sagte er in vollkommen akzentfreiem Arabisch. Abu Dun zog die Augenbrauen zusammen, und Andrej musste plötzlich wieder an das denken, was sie vorhin im Goldenen Eber miteinander geredet hatten.
Und als hätte er seine Gedanken gelesen, grinste Rodriguez nur noch breiter und fuhr – noch immer in derselben Sprache – fort: »Und Ihr habt vollkommen recht. Die Spanier sind ein komisches Völkchen.« »Die Spanier?«
»Ihr seid ein wirklich aufmerksamer Beobachter, Señor Delãny«, sagte Rodriguez, nun wieder in seiner Muttersprache. »Mir scheint, man sollte sich jedes Wort genau überlegen, das man in Eurer Gegenwart spricht.« »Sollte man das nicht immer?«, fragte Andrej ausweichend.
Bevor Rodriguez antworten konnte, drehte sich Abu Dun ganz zu ihm um und fragte: »Warum habt Ihr uns kommen lassen, Colonel?«
Rodriguez lächelte unerschütterlich weiter. »Wisst Ihr, wie viel so mancher von denen da unten für einen Fensterplatz bezahlen würde?«
Abu Dun starrte ihn nur weiter finster an, und sein Blick hatte schließlich auch auf den Colonel dieselbe Wirkung wie auf die meisten anderen Männer; auch wenn es vielleicht eine Spur länger dauerte. Das Lächeln wich von seinen vom Alter gezeichneten Zügen, und sein Blick wurde ernst. »Ich beantworte Eure Fragen«, sagte er. »Aber erst, wenn alles vorbei ist, einverstanden? Die Delinquenten werden jeden Moment gebracht, und wir wollen doch nicht das Beste verpassen, oder?« Abu Dun setzte zu einer scharfen Erwiderung an, doch Andrej bedeutete ihm mit einem raschen Blick, es gut sein zu lassen, und zu seiner Erleichterung gehorchte der Nubier sogar.
Nur einen Moment später begann sich Unruhe auf dem Marktplatz zu verbreiten. Zornige Stimmen wurden laut, aber auch aufgeregte Rufe, und man hörte ein von Vorfreude erfülltes Johlen und Applaudieren. Ein zweirädriger Leiterwagen mit den Gefangenen, der von einem altersschwachen Maultier gezogen und einem Dutzend Soldaten eskortiert wurde, bahnte sich langsam seinen Weg durch die Menschenmenge und hielt schließlich auf der Rückseite der hölzernen Tribüne an. Andrej konnte nicht genau erkennen, was als Nächstes geschah, doch der Erste, der das Podest betrat, war kein Soldat oder Gefangener, sondern ein hochgewachsener, außergewöhnlich kräftiger Mann, der nur knielange schwarze Hosen und eine ebenfalls schwarze Kapuze trug.

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