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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Die Menge brach in begeistertes Klatschen und Johlen aus.
»Der Scharfrichter?«, fragte Andrej.
Rodriguez nickte. Abu Dun ließ ein abfälliges Grunzen hören, und Rodriguez zog fragend die Augenbrauen hoch. »Was Ihr seht, scheint Euch nicht zu gefallen, Vater des Todes. Ich nehme doch an, Ihr tragt den Säbel an Eurer Seite nicht nur zur Zierde. Wie viele Männer habt Ihr in Eurem Leben getötet?«
»Mehr als die da«, sagte Abu Dun mit einer Geste aus dem Fenster, die offen ließ, ob sie den drei Delinquenten oder der gesamten Menschenmenge auf dem Platz galt. »Aber das ist etwas anderes. Möglich, dass diese Männer den Tod verdient haben, aber Ihr macht ein Volksfest aus einer Hinrichtung. Das ist unwürdig!«
»Ich stimme Euch zu«, sagte Rodriguez mit einem Mal sehr ernst. »Aber es war nicht meine Entscheidung.« »Und Ihr hättet sie selbstverständlich auch nicht getroffen.«
»Vielleicht doch«, antwortete Rodriguez mit unerwarteter Offenheit. »Es ist Krieg. Wir verlangen viel von den Menschen. Sie ertragen große Entbehrungen, zumal jetzt, wo die Stadt noch mehr als sonst von Matrosen und Soldaten überquillt. Man muss ihnen von Zeit zu Zeit etwas bieten.«
»Brot und Spiele?«, vermutete Andrej.
»Ja, so nannte man es früher einmal«, sagte Rodriguez. »Ihr seid ein gebildeter Mann, Señor Delãny.« Er machte eine wedelnde Handbewegung zum Fenster. »Aber nun lasst uns in Ruhe zusehen. Danach reden wir.« Tatsächlich war Bewegung in die Szene gekommen. Nachdem der Scharfrichter den Applaus der Menge gehörig ausgekostet hatte, betraten die sechs Soldaten die Richtstätte. Jeweils zwei von ihnen führten einen in Ketten gelegten Gefangenen zwischen sich. Zwei der drei Gefangenen waren Andrej völlig fremd, bei dem Dritten handelte es sich um den englischen Matrosen. Die Gesichter der beiden Verbrecher zeigten unübersehbar Furcht, aber auch mühsam aufrechterhaltene Fassung – vielleicht auch nur Trotz – während der britische Soldat wie Espenlaub zitterte und sich immer wieder loszureißen versuchte. Einer von uns?, dachte Andrej verwirrt. Dann begriff er. Gerade weil der Mann ein Unsterblicher war, wollte er nicht zeigen, dass er den Tod nicht fürchtete. Die drei Gefangenen wurden grob auf die lehnenlosen Schemel gestoßen und mit dicken Stricken an die dahinter aufgestellten Pfähle gebunden, bevor man ihnen die Ketten abnahm. Auch jetzt verhielten sich die beiden Spanier erstaunlich tapfer angesichts dessen, was ihnen bevorstand, während der vermeintliche Brite mit verzweifelter Kraft an den Fesseln zerrte, natürlich ohne sie auch nur einen Deut lockern zu können.
Wenigstens schrie er nicht.
»Das sind also die unbesiegbaren Truppen der britischen Marine«, spöttelte Rodriguez. »Ich frage mich, was Sir Francis Drake wohl sagen würde, könnte er diesen tapferen Mann jetzt sehen.«
»Er würde wohl eher das eine oder andere über die Art der Spanier zu sagen haben, mit ihren Gefangenen umzugehen«, murmelte Abu Dun gerade leise genug, dass Rodriguez nicht sicher wissen konnte, ob diese Worte für ihn bestimmt waren.
Was nun geschah, gehörte mit zu dem Grausamsten, dessen Andrej jemals Zeuge geworden war.
Natürlich wusste Andrej, was eine Garotte war und wie man sie benutzte – im Grunde nicht mehr als ein Seil, das dem Delinquenten um den Hals gelegt und hinter seinem Nacken mit einem Holzpflock oder einem anderen geeigneten Werkzeug zugedreht wurde, bis das Opfer erstickt war, oder, bei einem gnädig gestimmten Henker, auch so angelegt werden konnte, dass der Strick die Halsschlagader des Delinquenten zudrückte und somit die Blutzufuhr im Gehirn unterbrach, was binnen weniger Augenblicke zum Tod führte.
Mit den beiden verurteilten Verbrechern verfuhr der Scharfrichter auch so. Es war so schnell vorbei, dass in der Zuschauermenge nicht nur ein enttäuschtes Murren laut wurde, sondern sogar der eine oder andere Buhruf. Aber der Mann entschädigte sein Publikum mit der dritten Hinrichtung.
Andrej sah genau, dass er die Garotte so anlegte, dass der Gefangene nicht das Bewusstsein verlor, sondern qualvoll erstickte, und er tat es nicht schnell, sondern sehr, sehr langsam. Der Gefangene bäumte sich auf, warf verzweifelt den Kopf hin und her und begann mit den Füßen zu zappeln, während sich die Garotte quälend langsam zusammenzog und ihm die Luft abschnürte. Als seine Bewegungen zu erlahmen begannen und sein Kopf nach vorne sank, ließ der Henker die Garotte nicht nur los, sondern

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