Goettersterben
trat mit einem schnellen Schritt um den Pfahl herum und lockerte den Strick, damit er wieder atmen konnte. Aus der Menschenmenge auf dem Marktplatz stieg ein Chor beifälliger Rufe, und hier und da brandete sogar Applaus auf.
»Bei Allah!«, keuchte Abu Dun. »Was tut er da?« »Das, wofür ihn die Menschen lieben«, sagte Rodriguez. »Er bietet ihnen ein Schauspiel.«
»Das ist kein Schauspiel, das … das ist … widerwärtig!« Rodriguez nickte, während draußen das grausame Schauspiel seinen Fortgang nahm.
Der Henker ließ sich Zeit und wartete, bis sein unglückseliges Opfer keuchend und würgend wieder zu Atem gekommen war und den Kopf hob, dann trat er wieder hinter den Pfahl und zog die Garotte zu. Diesmal dauerte es noch länger, bis die Glieder des Mannes zu zucken aufhörten und sein Kopf nach vorne sank, und auch der Applaus und das beifällige Gejohle und Pfeifen waren deutlich lauter.
»Bei Allah, gebietet denn niemand diesem grausamen Schauspiel Einhalt?«, flüsterte Abu Dun. Andrej sah, wie sich seine Hand unter dem Mantel um den Schwertgriff schloss.
»Wie lange will er das noch treiben?«
Rodriguez hob scheinbar desinteressiert die Schultern. »So lange der Gefangene es aushält«, antwortete er. »Wenn er Pech hat – und ein starkes Herz … sein Rekord liegt bei sechsmal.«
Dann wird er ihn heute wohl überbieten, dachte Andrej düster.
»Und so lange el excellencia es will, natürlich«, fügte Rodriguez hinzu. Seine ausgestreckte Hand deutete auf ein dreistöckiges Haus auf der anderen Seite des Marktes, wo es einen ähnlichen, wenngleich sehr viel größeren Balkon gab, auf dem drei Männer in dunkelblauen Marineuniformen standen. Andrej hätte nicht die scharfen Augen eines Vampyrs haben müssen, um Castello zu erkennen. Die glänzenden Orden und Auszeichnungen und sein ölig schimmerndes schwarzes Haar waren unverwechselbar.
»Don de Castello?«, fragte er.
Rodriguez antwortete nicht, aber Andrej sah, wie der Scharfrichter fragend zum Balkon hinaufschaute und Castello kaum merklich nickte, woraufhin er sich daran machte, die Garotte zum dritten Mal zuzudrehen. Und noch einmal.
Und noch einmal und noch einmal und noch einmal. Der Applaus und das begeisterte Geschrei der Menge wurden noch lauter.
Doch nachdem der Henker die Garotte insgesamt achtmal zugedreht und wieder gelockert hatte, wurde das begeisterte Johlen und Händeklatschen leiser, und nach dem zehnten Mal kehrte eine fast unheimliche Stille ein. Wieder blickte der Henker zum Balkon. De Castello rührte sich nicht, und der Scharfrichter trat erneut hinter den Pfahl und begann sein grausames Werk.
Als der Gefangene dieses Mal wieder zu sich kam, wurde es vollkommen still auf dem Marktplatz, zumindest für zwei oder drei Sekunden. Dann schrie eine einzelne Stimme: »Gnade!«
»Tötet ihn!«, fiel eine zweite Stimme ein. »Schnell!« »Es ist genug!«, schrie ein dritter Mann. »Habt Erbarmen!«
Der Scharfrichter zögerte. Fünf, wenn nicht zehn Sekunden stand der Kapitän der EL CID reglos da, mit steinernem Gesicht, dann drehte er sich mit einem Ruck um und verschwand im Haus, und der Henker trat zum letzten Mal hinter den Pfahl und zog die Garotte zu. Diesmal lockerte er den Knoten nicht wieder, sondern wandte sich um und floh schon beinahe von dem Podest, noch bevor die Glieder des Gefangenen zum letzten Mal aufgehört hatten zu zucken und sein Kopf nach vorne sank.
»Was für ein Ungeheuer«, murmelte Abu Dun. »Der Mann macht nur seine Arbeit«, antwortete Colonel Rodriguez. »Zugegeben, sie bereitet ihm vielleicht mehr Freude, als gut ist, aber wenn nicht er, dann würde es ein anderer tun.«
»Ja, und mit diesem Argument sind schon immer die größten Gräueltaten gerechtfertigt worden«, sagte Andrej bitter.
»Seid Ihr auch noch ein Philosoph, Señor Delãny?«, erkundigte sich Rodriguez.
»Nur Realist«, antwortete Andrej. »Aber ich glaube nicht, dass Abu Dun den Henker gemeint hat.« Der seine Strafe bekommen würde. Und Andrej wagte sich nicht einmal vorzustellen, wie sie aussehen würde.
»Don de Castello, ich verstehe«, seufzte Rodriguez. »Nun, ich fürchte, ich kann der Einschätzung Eures Freundes nicht so vehement widersprechen, wie ich es als Offizier der spanischen Krone eigentlich müsste.« »Ihr mögt Capitan de Castello nicht besonders«, vermutete Andrej.
»Niemand mag Don Alberto de Castello«, sagte Rodriguez, »abgesehen vielleicht von Don Alberto de Castello selbst, und nicht einmal dessen bin ich mir
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