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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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meinte. »Ich traue ihm nicht«, sagte Rodriguez. »Ich spüre, dass er etwas vorhat, aber ich weiß nicht, was. Etwas, das weder gut für diese Stadt noch für Spanien ist.« »Ihr haltet ihn für einen Verräter?«
»Vielleicht ist das ein zu großes Wort«, sagte Rodriguez, eine Spur zu hastig. »Aber ich traue ihm nicht. Er plant etwas, das spüre ich.«
»Und wir sollen für Euch herausfinden, was. Wie kommt Ihr auf die Idee, dass wir das könnten?« »Instinkt«, erwiderte Rodriguez lächelnd. »Ich erkenne eine verwandte Seele, wenn ich ihr begegne.«
Abu Dun legte nachdenklich die Stirn in Falten und schwieg, und auch Andrej überlegte einen Moment lang. Dieses Angebot kam wirklich sehr überraschend, und etwas störte ihn daran – auch wenn er zugleich spürte, dass es ehrlich gemeint war.
»Und wenn wir nichts finden?«, fragte er schließlich. »Dann gehe ich davon aus, dass nichts zu finden oder es so gut versteckt ist, dass auch ich nicht darauf gekommen wäre«, antwortete Rodriguez. »Und Ihr könnt Eurer Wege gehen. Sind wir uns einig?«
Haben wir denn eine Wahl?, dachte Andrej, während er noch einmal aus dem Fenster sah. Die Soldaten begannen gerade damit, die Leichen der drei Männer loszubinden. Laut fragte er: »Was haben wir zu verlieren?«
»Dann sind wir uns einig«, sagte Rodriguez. »Was kann ich tun, um Euch zu unterstützen?«
Andrej deutete auf den Richtplatz. »Ihr könntet uns sagen, wohin sie die Toten bringen.«

10

F
    rüher einmal mochte der Gottesacker klein und schäbig gewesen sein – ein Armenfriedhof, nicht einmal eingezäunt, außerhalb der Stadtmauern, auf dem man vergeblich nach einer Kapelle oder irgendeiner anderen Andachtsstätte gesucht hätte. Schäbig war er noch immer. Es gab keine aufwendigen Grabsteine, sondern nur einige wenige Holzkreuze, die mit ungelenk hineingekratzten Namen oder Initialen versehen waren, und die allermeisten Gräber waren gar nicht gekennzeichnet. Hier und da hatte jemand Blumen gebracht oder auch versucht, ein kleines Beet anzulegen, aber diese wenigen Inseln der Freundlichkeit schienen die sie umgebende Trostlosigkeit nur noch hervorzuheben. Dies war weniger eine letzte Ruhestätte, dachte Andrej bitter, sondern ein Abfallhaufen, der Ort, an dem man die Heiden und Ketzer abwarf, die, die keine Verwandten hatten oder die sich eine würdevolle Bestattung nicht leisten konnten oder wollten. Die wenigsten dieser Gräber waren mit Tränen benetzt worden.
    Was sich verändert hatte, war die Größe des Armenfriedhofes.
Nachdem die Sonne untergegangen war, war es so dunkel geworden, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Dennoch konnte Andrej erkennen, dass der Friedhof seine Grenzen längst gesprengt hatte und auf das mindestens Dreifache seiner ursprünglichen Ausdehnung angewachsen war, wenn nicht noch weiter. Der Großteil dieser Gräber war neu, allesamt flache Erdhügel ohne ein Kreuz, einen Grabstein oder irgendeinen anderen Hinweis auf denjenigen, der darin lag.
»Der Henker von Cádiz muss eine Menge zu tun haben«, sagte Abu Dun. »Ich sollte vielleicht umsatteln. Es scheint ein Beruf mit Zukunft zu sein.«
»Hier werden nicht nur hingerichtete Verbrecher beigesetzt«, sagte Bresto, der diese Worte tatsächlich ernst zu nehmen schien. »Cádiz hat fast drei Mal so viele Einwohner, seit die Armada begonnen hat, sich hier zu sammeln.« Er zuckte mit den Achseln. »Dreimal so viele Menschen bedeuten auch dreimal so viele Tote. Soldaten, Wanderarbeiter, Söldner und Dieb e … die Leute wollen sie nicht auf ihrem Friedhof.« Er blieb stehen und deutete in die fast vollkommene Dunkelheit hinein. »Das Grab liegt dort vorne, ganz am Ende des Weges. Ihr könnt es gar nicht verfehlen.«
»Ihr begleitet uns nicht, Lieutenant?«, fragte Abu Dun spöttisch.
Bresto funkelte ihn an. »Colonel Rodriguez hat mir befohlen, Euch den Friedhof und das Grab zu zeigen, nicht, Euch dorthin zu begleiten. Ich warte am Tor auf Euch und sorge dafür, dass man Euch wieder herauslässt. Es sei denn, Ihr wollt hier draußen übernachten.« Er wartete Abu Duns Antwort erst gar nicht ab, sondern fuhr auf dem Absatz herum und verschwand mit schnellen Schritten in der Dunkelheit. Abu Dun sah ihm mit steinernem Gesicht nach. Erst, als der junge Adjutant endgültig in der Nacht verschwunden war, gestattete er sich ein breites Grinsen, bei dem seine strahlend weißen Zähne gespenstisch aufblitzten. »Eigentlich ist der Kleine gar nicht so übel«, sagte

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