Goettersterben
er.
Jetzt war es an Andrej, finster zu blicken. »Ja, und besonders interessant wäre es gewesen, seine Reaktion zu beobachten, wenn wir ein frisches Grab aufbrechen und die Leiche darin plötzlich wieder quicklebendig ist«, grollte er. »Was hast du dir dabei gedacht?«
Abu Dun schüttelte nur den Kopf. »Keine Sorge. Der Kleine mag keine Friedhöfe. Er war halb verrückt vor Angst.«
Das stimmte. Andrej hatte seine Furcht ebenfalls gespürt. »Und warum wolltest du dann, dass er uns weiter begleitet?«
»Weil es ihm so umso leichter gefallen ist, es nicht zu tun«, antwortete Abu Dun. »Ich hätte ihn natürlich auch niederschlagen können, wenn dir das lieber gewesen wäre.«
Statt zu antworten, ging Andrej weiter und schluckte herunter, was ihm auf der Zunge lag. Abu Dun war auch den Rest des Tages über nicht minder einsilbig und abweisend gewesen wie am Morgen; vorgeblich, weil Bresto keinen Schritt von ihrer Seite gewichen war. Aber natürlich war das nicht der wahre Grund gewesen. Andrej hätte blind sein müssen, um nicht zu begreifen, dass den Nubier etwas beschäftigte.
Ein Geräusch wehte durch die Nacht heran, selbst für ihre scharfen Ohren zu schwach, um es zu identifizieren. Abu Dun schlug den Mantel zurück und legte die Hand auf den Schwertgriff. Noch bevor auch Andrej nach Gunjir greifen konnte, trat Abu Dun von dem schmalen Pfad herunter und war mit der Nacht verschmolzen. Äußerlich scheinbar gelassen, aber innerlich bis zum Zerreißen angespannt, ging Andrej weiter. Er lauschte. Für den ahnungslosen Bresto (und nahezu jeden anderen Einwohner der Stadt, deren Mauern schwarz über ihnen emporragten) wäre die Nacht vollkommen still gewesen, aber Andrej hörte Dinge, von denen die meisten anderen nicht einmal wussten, dass sie existierten.
Aber jetzt spürte er, dass Abu Dun und er allein waren. Aber irgendetwas …
Dann roch er das Blut.
Es war nur ein Hauch, selbst für seine scharfen Sinne kaum wahrnehmbar, und es war nicht einmal frisch, aber es war Blut, und es weckte die alte Gier wieder in ihm. Weit davon entfernt, die Beherrschung zu verlieren, spürte er doch, wie der Vampyr in ihm zu erwachen begann, und das beunruhigte ihn.
Etwas raschelte zu seiner Linken; Abu Dun, der einen Bogen schlug, um das Grab zu umgehen und sich jedem, der vielleicht dort lauern sollte, von hinten zu nähern. Andrej ging ein wenig langsamer, um dem Nubier die notwendige Zeit zu verschaffen. Nach zwei oder drei weiteren Schritten blieb er endgültig stehen, als ein filigraner Umriss vor ihm aus der Dunkelheit auftauchte. Es war der Leiterwagen, auf dem die Gefangenen zum Marktplatz gefahren und ihre Leichen weggeschafft worden waren.
Jetzt war Andrej endgültig alarmiert. Es war Stunden her, dass die Toten abtransportiert worden waren, und er konnte sich nicht vorstellen, dass man den Wagen einfach hier stehen gelassen hatte.
Lautlos zog er sein Schwert, schlich auf Zehenspitzen weiter und erkannte dann, dass nicht nur der Wagen noch hier war, sondern auch das altersschwache Zugtier. Es war tot. Andrej musste es nicht erst untersuchen, um zu wissen, dass ihm etwas die Kehle aufgerissen hatte. Der Boden unter seinem Hals war dunkel und glänzte von frischem Blut.
Aber es war nicht sein Blut, das Andrej roch. Was die Gier in ihm weckte – seinen Hunger –, war ein anderer Geruch. Hier war ein Mensch gestorben. Und es war noch nicht lange her.
Andrej brachte das verführerische Wispern in seiner Seele mit einer bewussten Willensanstrengung zum Verstummen, ging weiter und erreichte nach wenigen Schritten das frisch ausgehobene Grab – ein kaum zwei Meter breiter und halb so tiefer Graben, der quer über das gesamte Friedhofsgelände führte und bisher nur etwa zur Hälfte wieder zugeschüttet worden war.
Immerhin konnte man der spanischen Armee nicht vorwerfen, dass sie nicht effizient arbeitete.
Er drehte sich noch einmal sehr langsam um sich selbst und lauschte dabei mit all seinen Sinnen, doch das einzige andere lebende Wesen, dessen Nähe er spürte, war Abu Dun.
Dennoch hielt er Gunjir gezückt, als er sich neben dem nur halb zugeschütteten Grab auf ein Knie sinken ließ und mit den Fingern in der frischen Erde grub. Etwas Kleines, Hartes mit sehr vielen Beinen schrak unter seiner Berührung zurück und huschte davon, dann fühlte er grobes Leinen und zog ohne besondere Anstrengung einen der groben Säcke aus dem Boden, in die man die Toten eingenäht hatte, um einen Sarg zu sparen. Er musste seinen Dolch
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