Goettersterben
die umliegenden Straßen absuchen und …« »Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist, Lieutenant«, unterbrach ihn Abu Dun.
»Warum?«
»Weil es schon ein paar Stunden her sein muss«, sagte Andrej rasch. »Die Leichen sind bereits kalt. Wer immer sie getötet hat, ist gewiss nicht mehr hier.«
Bresto machte keinen Hehl daraus, dass ihn diese Antwort nicht überzeugte. Er starrte Andrej misstrauisch und Abu Dun feindselig an, überlegte noch einen Moment und fuhr dann abermals zu den beiden Soldaten herum. »Ihr habt mich gehört! Schlagt Alarm! Und ich will hier fünfzig Mann sehen, mit Fackeln und Laternen! Und Ihr …«, fuhr er an Andrej und Abu Dun gewandt in ebenso herrischem Ton fort, doch Andrej unterbrach ihn: »Auf unsere Hilfe werdet Ihr verzichten müssen, Lieutenant, fürchte ich. Wir werden den Colonel benachrichtigen. Wo finden wir ihn?«
»Zu dieser Stunde vermutlich im Goldenen Eber. Aber Ihr könnt jetzt nicht einfach …«
»Dann gehen wir jetzt zu ihm«, fuhr Andrej ungerührt fort. »Und noch eine Frage, Lieutenant. Der Henker, der die drei Männer heute Abend hingerichtet hat. Ihr kennt ihn?«
Brestos Augen wurden schmal. »Warum wollt Ihr das wissen?«
»Weil wir mit ihm reden müssen. Wisst Ihr, wo wir ihn finden?«
»Warum?«, beharrte Bresto.
»Vielleicht, um ihm einen guten Rat zu geben«, sagte Abu Dun, bevor Andrej antworten konnte.
»Und welcher wäre das?«
»Wenn man einen Mann zehnmal hinrichtet und er es überlebt«, antwortete Abu Dun in beinahe freundlichem Ton, »dann ist man vielleicht gut beraten, sich davon zu überzeugen, ob er beim elften Mal auch wirklich tot ist.« Bresto starrte ihn an, als zweifele er an Abu Duns Verstand.
Aber er nannte ihnen die Adresse.
Das Haus lag nicht in jener Art von Viertel, das Andrej erwartet hatte. Einen Henker – noch dazu einen so grausamen Mann, dem seine Arbeit sichtliche Freude bereitete – hatte Andrej in einer heruntergekommenen, finsteren Gasse in einer schmuddeligen Gegend gesehen, ein Handlanger- oder gar Verbrecherviertel voller zwielichtiger Gestalten und Schatten, in das man besser nicht unbewaffnet ging.
Doch das überraschend schmucke zweieinhalbgeschossige Gebäude, hinter dessen Fenstern behaglicher Kerzenschein der Nacht Einhalt gebot, lag in einem der besseren Viertel der Stadt. Die Häuser waren gepflegt und die schmalen Bürgersteige sauber. Die wenigen Menschen, die sie auf dem Weg hierher getroffen hatten, waren vornehm gekleidet, und aus manchem der Häuser drangen Gelächter oder fröhliche Stimmen, einmal zu Andrejs nicht geringer Überraschung auch Klaviermusik und der Klang einer Violine, die mit mehr Enthusiasmus als Können gespielt wurde. Seit einer geraumen Weile waren ihnen keine Passanten mehr begegnet, sondern nur einige Soldaten, die in Zweiergruppen durch die leeren Straßen patrouillierten und dafür sorgten, dass die Bewohner dieser noblen Gegend nicht von dem Pöbel belästigt wurden, der den Rest der Stadt bewohnte. Abu Dun und er waren ihnen ausgewichen, um unnötige Diskussionen zu vermeiden, und jetzt standen sie seit geraumer Zeit im Schatten eines überhängenden Stockwerks und beobachteten das Haus, in dem der Henker von Cádiz wohnte; obwohl das Bauwerk eher so aussah, als gehöre es dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt oder einem Militärgouverneur.
Letzterer Vergleich war ihm vielleicht in den Sinn gekommen, weil vor der Tür des Henkerhauses gleich fünf Pferde standen – drei davon nicht nur aufwendig, sondern geradezu prachtvoll aufgezäumt, die beiden anderen bescheiden – und zwei Soldaten mit geschulterten Musketen Wache standen.
»Entweder, unser Freund weiß schon, was passiert ist, oder er ist ein wirklich unbeliebter Mitbürger«, knurrte Abu Dun.
Andrej warf ihm einen mahnenden Blick zu, der ebenso unnötig wie fruchtlos war. Abu Dun hatte so leise gesprochen, dass die Männer auf der anderen Straßenseite sie ohnehin nicht gehört hätten. Kurz ließ er seine schneeweißen Zähne in der Dunkelheit aufblitzen. Aber er schwieg.
Zeit verstrich, ohne dass etwas geschah. Nur dann und wann bewegte sich ein Schatten hinter den hell erleuchteten Fenstern im Obergeschoss, und Andrej wurde zunehmend nervöser.
»Wir können jetzt hier stehen bleiben, bis die Sonne aufgeht«, sagte Abu Dun, nachdem weitere endlose Minuten vergangen waren, »oder wir schauen nach, ob es eine Hintertür gibt.«
Andrej zweifelte keinen Moment lang daran, dass es Abu Dun und ihm gelingen würde,
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