Goettersterben
aber er klang auch nervös.
Andrej zog es vor, zu schweigen, und nach einem kurzen Moment befahl Rodriguez mit leicht erhobener (und deutlich schärferer) Stimme den Soldaten hinter ihm: »Ihr habt den Mann gehört! Schafft diesen Kadaver aus der Stadt und verbrennt ihn! Sofort! Und ich will, dass ihn zwanzig Mann bewachen und nicht eher zurückkommen, bis nur noch ein Häufchen Asche von ihm übrig ist!«
Abu Dun nickte, und Rodriguez wandte sich an Andrej: »Seid Ihr zufrieden, Señor Delãny?«
»Nein«, antwortete Andrej ehrlich. »Aber das ist wohl das Einzige, was wir jetzt noch tun können.«
»Ja, das scheint mir auch so«, seufzte Rodriguez. »Kommt, Señor. Lasst uns ein Stück gehen. Ich mag diesen Ort nicht.«
Sie verließen den Hof und die schmale Gasse, und Andrej fiel abermals auf, wie hastig die Soldaten Abu Dun und ihm Platz machten, und wie unsicher die Blicke waren, die ihnen folgten. Er konnte ihre Angst riechen. Und etwas in ihm reagierte auf diese Angst.
Er genoss sie.
»Gehen wir ein Stück, Señores«, sagte Rodriguez, nachdem sie die Gasse hinter sich gelassen hatten. Einige Soldaten wollten sich ihnen anschließen, aber Rodriguez scheuchte sie herrisch zurück. Andrej konnte die Erleichterung der Männer spüren.
Trotzdem fragte er: »Ihr begleitet uns ganz allein, Colonel? Nachts und in eine so unsichere Gegend wie die, in der der Goldene Eber liegt?«
»In Zeiten wie diesen gibt es keine sicheren Gegenden, fürchte ich.« Rodriguez lachte leise. »Außerdem: Könnte ich mich im Moment wohl irgendwo sicherer fühlen als in Eurer Gesellschaft, Señor Delãny?«
»Ja«, knurrte Abu Dun, bevor Andrej in die Verlegenheit kam, antworten zu müssen. »In meiner.« Andrej stimmte zwar nach einem Moment in Rodriguez Lachen ein, aber er konnte selbst hören, wie wenig echt es klang, so wenig überzeugend, wie Abu Duns Bemerkung tatsächlich komisch war. Für eine geraume Weile, in der das Schweigen im gleichen Maße unbehaglicher zu werden begann, in der die Straßen schmaler und die Gebäude rechts und links dunkler und schäbiger wurden, gingen sie in scharfem Tempo nebeneinander her, und Andrej fiel auf, dass Rodriguez sich von Zeit zu Zeit nicht nur verstohlen umsah, sondern auch konzentriert lauschte. Er selbst tat dasselbe. Der Schlaf in den Häusern beiderseits der Straße war nicht ganz so tief wie es den Anschein hatte, und auch aus dem einen oder anderen Schatten folgten ihnen ebenso aufmerksame wie misstrauische Blicke.
»Der Mann, den Ihr in Gonzales’ Haus getötet habt«, sagte Rodriguez plötzlich.
»Ja?«, erwiderte Andrej, als der Colonel nicht weitersprach, sondern ihn erwartungsvoll ansah. »Was ist mit ihm?«
»Euch ist nichts an ihm aufgefallen?«
»Außer, dass er ein wehrloses Kind ermordet hat?« Andrej schüttelte den Kopf und lächelte kalt. »Nein. Aber ich habe auch nicht auf Einzelheiten geachtet. Ich war beschäftigt.«
»Es war ein Soldat«, sagte Rodriguez ungerührt. »Nicht irgendein Soldat. Es war einer der drei Männer, die zum Friedhof hinausgeschickt wurden, um die Toten zu beerdigen.«
Andrej schwieg.
»Ihr habt nur zwei Leichen gefunden«, fuhr Rodriguez fort.
»Und jetzt wissen wir auch, warum«, sagte Abu Dun. Rodriguez nickte zwar, schüttelte aber sofort darauf schon wieder den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Ich kenne den Mann nicht. Und – auch wenn ich abstreiten werde, das jemals gesagt zu haben – ich würde nicht einen Finger für irgendeinen dieser Kerle ins Feuer legen, geschweige denn die ganze Hand, aber es fällt mir trotzdem schwer zu glauben, dass er einem entflohenen Gefangenen dabei hilft, zwei seiner Kameraden zu ermorden und dann auch noch hierher kommt, um den Scharfrichter und seine Kinder zu töten.«
»Ja, das klingt … in der Tat seltsam«, sagte Abu Dun nachdenklich. »Vielleicht waren sie von Anfang an Komplizen?«
»Kaum«, erwiderte Rodriguez überzeugt, sah dabei aber weiter Andrej an. »Und da war … noch etwas.« »Und was?«, fragte Andrej widerstrebend.
»Wenn ich das wüsste«, seufzte Rodriguez. »Es ist nur so ein … Gefühl. Glaubt Ihr an Gefühle, Andrej?« Andrej entging weder der lauernde Unterton in Rodriguez Stimme noch der plötzliche Wechsel zu einer vertrauteren Anrede. Nichts davon war Zufall. »Das kommt ganz auf die Art des Gefühls an, Colonel«, sagte
er.»Eine weise Antwort«, sagte Rodriguez mit einem
flüchtigen Lächeln. Er blieb stehen. »Und genau die Art von Antwort, die ich von Euch erwartet
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