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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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habe. Schade.« Andrej hütete sich, auf die unausgesprochene Frage zu reagieren. »Was für ein Gefühl hattet Ihr denn, Colonel?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte Rodriguez. Er klang enttäuscht. »Vielleicht, dass etwas mit diesem Mann nicht stimmte.«
»Das will ich doch hoffen, nach dem, was er getan hat«, sagte Abu Dun. »Alles andere würde kein besonders gutes Licht auf die spanische Marine werfen, meint Ihr nicht auch, Colonel?«
Rodriguez ignorierte ihn und starrte Andrej weiter ebenso durchdringend wie lauernd an. Schließlich seufzte er, jetzt ganz unverhohlen enttäuscht. »Ich muss zurück zu meinen Männern. Ich fürchte, wenn ich meinen übereifrigen jungen Adjutanten zu lange allein lasse, ist der Krieg gegen England das kleinste Problem, das diese Stadt hat.«
Er lachte, wartete einen Moment lang vergeblich auf ein Lächeln Andrejs und fuhr dann auf dem Absatz herum, um mit weit ausgreifenden Schritten davonzustürmen. »Er weiß es«, sagte Abu Dun.
»Was er war?«
»Was wir sind.«
Ja, wahrscheinlich, dachte Andrej. Und wenn er es nicht wusste, dann ahnte er zumindest etwas; was nur zu oft schlimmer war. Er sah noch einen Moment nachdenklich in die Richtung, in der Rodriguez verschwunden war, und wollte dann ebenfalls weitergehen, doch Abu Dun hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück.
»Was ist wirklich passiert?«
Andrejs erster Impuls war der, seine Hand abzuschütteln und einfach weiterzugehen, aber dann überlegte er es sich doch anders. »Loki«, sagte er. »Du hast ihn gesehen?« Abu Dun klang nicht überrascht, aber ein wenig misstrauisch. Vielleicht sogar mehr als nur einwenig.
»Du hattest recht«, sagte er, statt Abu Dun zu antworten. »Wir hätten nicht herkommen sollen. Wir verlassen die Stadt, noch in dieser Nacht.«
»Und überlassen sie Loki und seinen Vampyren?«, fragte Abu Dun zweifelnd.
Mit einiger Verspätung, dafür aber umso heftiger, schlug Andrej Abu Duns Hand beiseite und fuhr ihn an: »Es ist noch nicht eine Stunde her, da warst du es, der gar nicht schnell genug von hier verschwinden konnte!« Abu Dun schwieg.
»Verdammt, was gehen mich diese Sterblichen an? Lass sie sich doch gegenseitig umbringen! Was stört das uns?« »Bisher hat es dich gestört«, antwortete Abu Dun. »Ja, und was hat es genutzt?«, schnappte Andrej. »Wir können ein paar unschuldige Leben retten, meinst du? Was für eine wunderbare Idee! Das verschafft den anderen vielleicht die Zeit, ihre kleine Flotte noch schneller abfahrbereit zu machen, damit sie ihren Krieg führen können. Was glaubst du, wie viele dabei sterben werden? Zehntausend? Hunderttausend?«
Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten.
»Verdammt noch mal, was willst du von mir?«, fauchte Andrej. »Bist du neuerdings mein Gewissen?«
»Ist es denn nötig?«, fragte Abu Dun leise. Er klang traurig, dachte Andrej. Aber hinter dieser Trauer verbarg sich auch eine stahlharte Entschlossenheit.
Er antwortete nicht, sondern riss sich endgültig los und ging weiter.
    Es blieb eine kurze Nacht, weitaus kürzer, als er erwartet hatte. Sie waren in den Goldenen Eber zurückgegangen, und ganz gegen seine sonstige Gewohnheit hatte Abu Dun nicht vorgeschlagen, noch ein paar Krüge von dem zu trinken, wovon der Wirt behauptete, es wäre Bier, sondern war sofort in ihr Quartier hinter dem Stall gegangen und hatte sich schlafend gestellt. Später, nachdem er anscheinend glaubte, Andrej sei eingeschlafen, war er wieder aufgestanden und doch noch einmal in die Gaststube geschlichen, und Andrej hatte ihn auch in diesem Glauben belassen. Ihm war es nur recht, wenigstens für eine Weile allein zu sein. Abu Dun hatte recht gehabt, mit jedem Wort, das er gesagt hatte, und er fragte sich, warum er es nicht einfach zugab. Es war ihm nicht egal, was mit den Menschen in dieser Stadt geschah, und es machte einen Unterschied, ob zwei unschuldige Kinder lebten oder nicht; das machte den Unterschied zwischen Abu Dun und ihm und Geschöpfen wie dem aus, das er gerade getötet hatte.
Aber vielleicht hatte er sich ja getäuscht. Was, wenn Loki recht hatte und Abu Dun sich irrte? Natürlich traute er Loki nicht, jetzt weniger denn je, und natürlich würde er ihn töten – aber es war noch nicht lange her, da hatte ihm der Unsterbliche bewiesen, wie lächerlich dieses Vorhaben war. Loki war ihm so hoffnungslos überlegen wie er selbst einem zehnjährigen Kind, das in den behüteten Mauern eines Klosters aufgewachsen war.

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