Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
und küsste sanft ihren Nacken, glitt mit den Lippen über die hauchdünnen, goldenen Härchen.
»Ich habe dir noch immer nicht das gesagt, weshalb ich hergekommen bin«, flüsterte er.
Sie wandte sich zu ihm um. Wehmut glitzerte in ihren wasserblauen Augen wie Sonnenlicht auf dem Meer. »Ich kann es mir doch schon längst denken – du wirst die Stadt verlassen.«
»Es ist die einzige Möglichkeit, Marentius' Zorn zu entgehen. Ich hätte mich nie auf ihn einlassen dürfen«, sagte er bedauernd. »Noch in dieser Nacht werde ich mit Clodia und Domitia aufbrechen.«
»Was ist mit Clodias Arzneien? Wohin willst du gehen? Und wovon willst du leben?«, bohrte sie nach. »Du kannst nicht einfach blindlings abhauen!«
Ihm wurde heiß vor Ärger. Er hatte keine Lust, jetzt noch über seine Pläne zu streiten. »Hast du etwa Angst davor, dass ich nicht mehr zur Verfügung stehe, um für deine Zerstreuung zu sorgen?«
Sie hämmerte ihm mit der flachen Hand gegen die Brust. »Das habe ich nicht gesagt! Am liebsten würde ich ja sogar mit euch kommen.«
»Ach ja?« Er hob eine Augenbraue. Die Vorstellung, mit ihr und seinen Schwestern auf einem Hof in den Ährlanden zu leben, bereitete ihm ein behagliches Kribbeln in der Brust. »Warum machst du es dann nicht einfach? Hier gibt es doch nichts, das du zurücklassen würdest. Du bist wie ein Vogel im Käfig, das hast du selbst gesagt.«
»Ich glaube, dazu ist meine Angst doch zu groß«, seufzte sie. »Ich erlebe meine Abenteuer lieber in Büchern … Außerdem muss ich mich um meinen Vater kümmern. Er braucht mich.«
»Dein Vater könnte jederzeit genug Sklaven einstellen, die ihn von morgens bis abends umsorgen würden«, sagte Rowen. »Du versucht nur, eine Ausrede zu finden.«
»Wenn du das meinst.« Eine Bö wehte durch den Garten. Rosanna fröstelte und schlang die Arme um den Leib. »Tag für Tag bringe ich in dieser Villa zu, aber ich bin doch zu sehr mit diesem Leben vertraut, um es einfach hinter mir zu lassen.«
»Es ist deine Entscheidung«, sagte Rowen. Von Anfang an hatten sie beide gewusst, dass ihre unregelmäßigen Treffen nicht von Dauer sein würden. Dafür waren die Unterschiede zwischen ihnen schlichtweg zu groß; sie war gebildet und aus gutem Hause und er, ja, er war einfach Rowen, die Maus. Trotzdem versetzte ihm der Abschied einen tieferen Stich, als er vermutet hatte.
»Du wirst irgendwann ein Konzilsmitglied oder einen Scriptor heiraten, eine ganze Schar süßer Kinder haben und einen großen Haushalt mit vielen Sklaven und teuren Dingen, die ein Kerl wie ich stehlen könnte.«
Ihr schien diese Zukunft unheimlich zu sein. Sie schüttelte sich und wechselte das Thema: »Weißt du eigentlich, Rowen, dass du der schlechteste Dieb bist, den man sich vorstellen kann?«
Er stutzte. »Warum denn das?«
»Du hast Skrupel, du hast Sorgen um deine Schwestern, du hast ein weiches Herz. Jeder erdenkliche Beruf würde zu dir passen, nur nicht einer, der mit Verbrechen zu tun hat.« Grübchen bildeten sich in ihren Wangen.
»Da hast du bestimmt Recht«, sagte er, »aber für mich ist das Stehlen ein Handwerk wie jedes andere. Ich habe es von einem Meister erlernt, habe viel geübt und ziehe den Leuten das Geld aus den Taschen – das macht doch jeder Handwerker, oder?«
»Du hast eine merkwürdige Auffassung von Handwerk!« Sie lachte.
Am Horizont, wo sich der Bleierne Fluss in das Delta der Wasserweiten verästelte, glomm bereits erstes Sonnenlicht.
»Ich muss aufbrechen«, sagte Rowen betrübt und seufzte. »Marentius' Männer suchen bestimmt schon nach mir.«
Ihre Augen schimmerten feucht. »Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder. Wer weiß.«
»Ja, wer weiß.« Er gab ihr einen letzten, fast gehauchten Kuss. »Aber wer weiß schon irgendetwas in solchen Zeiten. Die Leute wispern von Revolution, der Kreuzzug, der Hunger … Und dann noch dieser Barde.«
Rosanna schluckte und wischte sich über die Augen. »Freunde meines Vaters sind heute Abend hier gewesen. Sie haben davon erzählt, dass sie gleich ein ganzes Dutzend Attentäter und Kopfgeldjäger auf diesen Arlot Asht angesetzt haben.«
»Scheint ihnen ein Dorn im Auge zu sein, dass jemand herumerzählt, Orchon hätte das Zeitliche gesegnet.« Rowen schüttelte den Kopf. »Aber Götter können doch nicht sterben.«
»Selbst wenn«, erwiderte sie, »es macht keinen Unterschied. Die Leute brauchen Orchon, sie brauchen die Vorstellung von ihm. Etwas, an das sie glauben können. Etwas,
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