Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
Kopf gewachsen. Ich sollte in den Onyxpalast einsteigen und dort ein Buch stehlen, um sie wieder wett zu machen. Sie wollten mich hängen, aber der Strick ist gerissen.«
»Du hast die Schulden nur aufgenommen, um Clodias Arznei bezahlen zu können, oder?«
Er nickte. Es war eine Schande, dass die Doktoren die Medikamente nur gegen Wucherpreise veräußerten. So war die Diagnose Roter Tod für das einfache Volk gleichbedeutend mit einem Todesurteil, während die, die es sich leisten konnten, noch viele Jahre lebten. Weil es immer wieder zu Plünderungen von Apotheken und Arzthäusern gekommen war, stellten die Doktoren die Mittel nur noch auf Bestellung her.
Rosanna seufzte und vergrub die Finger in ihrer Bettdecke. »Du hättest mich fragen können, das habe ich dir schon mehrmals gesagt. Ich hätte das Geld auftreiben können.«
»Nein!« Er schüttelte den Kopf. »Das hätte unangenehme Fragen aufgeworfen und dich nur in Schwierigkeiten gebracht.«
»Du bist zu gutmütig für diese Welt – und erst recht für einen Dieb.« Sie lehnte sich vor. »Die Arzneien können das Unvermeidliche nur herauszögern, Rowen, das weißt du. Früher oder später wird sie …«
»Na und?«, fauchte er sie an. Wenn es um seine Schwestern ging, war er kompromisslos, sogar gegenüber Rosanna. »Vielleicht wird noch rechtzeitig ein Heilmittel gefunden! Was soll ich denn sonst tun? Sie sterben lassen?«
»Schon gut, tut mir leid. Das wollte ich nicht damit sagen.« Sie klopfte neben sich auf die Matratze. »Setz dich zu mir. Welches Buch solltest du denn aus der Geheimen Bibliothek des Onyxpalasts stehlen?«
Er hockte sich neben sie und versank mit dem Hinterteil in den Daunen. Als einstiger Landjunge und Dieb kannte er nur strohgefüllte Matratzen als Schlafstätten und Rosannas Federbett war für ihn jedes Mal ein kleines Wunder. »Es heißt Necronomicon . Keine Ahnung, wer wollte, dass wir es stehlen.«
Rosanna, die ohnehin schon blass war, erbleichte so sehr, dass ihr Haut aussah wie weiße Asche.
»Was ist los? Kennst du die Schwarte?«, hakte er nach.
Ein Regal voller Bücher, Schriftrollen und Mappen stand an der Wand gegenüber vom Bett. Allein schon ein einziges Buch war so viel wert wie ein halbes Dutzend Kühe. Der Inhalt des Regals übertraf damit alle anderen Dinge im Schlafgemach – die Wandteppiche, die extravagante Garderobe, die Schatullen voller Silberschmuck – um Weiten an Wert.
Rosanna war der belesenste Mensch, den Rowen kannte. Weil sie meist den ganzen Tag im Haus blieb und ihren Vater versorgte, hatte sie viel Zeit dazu, ihre hübsche Stupsnase in staubige Wälzer zu stecken. So überraschte es ihn nicht, dass sie anscheinend vom Necronomicon gehört hatte.
»Nichts«, murmelte sie gedankenversunken und winkte ab. »Ich bin nur froh, dass du es nicht in die Finger bekommen hast.«
»Ah, du bist also froh darüber, dass ich stattdessen für ein paar wundervolle Augenblicke am Galgen gebaumelt habe?«
»Jetzt verstehst du mich absichtlich falsch!« Flink kniff sie ihm in die Nase und wurde dann sofort wieder ernst. »Aber es gibt schlimmere Dinge, die einem widerfahren können, als der Tod.«
»Und die sollen von einem Buch ausgehen?« Abschätzig ließ er den Blick über die Reihen aus Buchrücken gleiten.
»Ich muss raus. Der Gedanke an dieses Buch lässt mich schwindeln.« Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu, stand auf und lief zur Tür, die auf den Dachgarten führte.
Er folgte ihr die schmale Stiege hinauf und trat hinter ihr ins silbrige Mondlicht. Im Dachgarten herrschte derselbe Frieden, wie es ihn in den Gärten von Nomoli gegeben hatte, bevor dieser seltsame Salus aufgetaucht war. Nachtfalter schwirrten in den Laubengängen umher, die Rosensträucher verbreiteten erhabenen Duft. Das Plätschern des Springbrunnens in der Mitte des Gartens beruhigte Rowen.
»Bücher besitzen Macht, mit der man Reiche stürzen kann, wenn man weiß, sie einzusetzen«, sagte Rosanna. Ihr Blick wanderte über die Schieferdächer der Stadt bis hin zum Onyxpalast ganz am Ende der Felszunge. Seine vier Ecktürme überragten alle anderen Gebäude. Wegen der Form ihrer Dächer wurden sie ab und an spöttisch »Zwiebeltürme« genannt. Vor allem in Zeiten wie diesen, wo die Leute mitten in der Nacht aufstanden, um sich in die Schlangen vor den allmorgendlichen Essensausgaben einzureihen – und selbst dann konnten sie noch nicht sicher sein, auch etwas zu bekommen.
Er legte seine Hände auf ihre Schultern
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