Göttertrank
bildeten sich rote Schlieren von den Färbereien. Es war eine hässliche Gegend, in der aus hohen Schloten schwarzgelbe Rauchfahnen wehten.
Erst in einem halben Jahr würde Alexander Masters zurückkommen. So lange musste ich hier aushalten. Nur darum kreisten meine verstörten Gedanken. Ich sollte in der Zwischenzeit selbst etwas unternehmen, sagte ich mir. Der Weg nach Berlin war mir verwehrt, und wo sonst konnte ich hingehen? Vielleicht fand ich eine Stelle in einem Café oder als Köchin in einem Haushalt?
In der Innenstadt standen etliche vornehme Häuser der wohlhabenden Fabrikanten, doch der überwiegende Teil der Bevölkerung setzte sich aus Arbeitern zusammen. Die Gegenden, in denen sie hausten, ließen nicht darauf schließen, dass sich vornehme Cafés dort ansiedelten. Ein paar Tage lang bemühte ich mich, eine einigermaßen anständige Stellung zu bekommen, aber eine Ella Wirth aus Berlin, die nur ein Zeugnis vorzeigen konnte, das sie als Zuckerbäckerin auswies, brauchte niemand. Ich hingegen benötigte Geld, denn über ein halbes Jahr lang konnte ich die Summe, die Nadina mir mitgegeben hatte, nicht strecken. Also nahm ich schließlich eine Tätigkeit als Serviererin in einer Kneipe an. Es war eine zermürbende Arbeit in verräucherter Luft, die Gäste waren Arbeiter und Arbeiterinnen aus den Fabriken, die nur danach trachteten, sich so schnell wie möglich zu betrinken.
Erst hatte ich den Branntwein nur probiert, gegen die Kälte in meiner ungeheizten Kammer. Er half mir auch, tief und traumlos zu schlafen, wenn ich zwei, drei Gläser davon trank. Und irgendwann im neuen Jahr war die Flasche mein ständiger Begleiter und Tröster geworden. Ich achtete nicht mehr auf mein Aussehen, verhielt mich schlampig bei der Bedienung und wurde im Februar von dem Wirt rausgeworfen.
Alles das interessierte mich schon lange nicht mehr an diesem kalten Märztag. Die Wupper unter meinen Füßen strömte eilig dahin, und mit müden Augen starrte ich in die Fluten. Immer im Kreis liefen meine Gedanken, und in einem nimmer endenden Refrain sangen sie: Ich habe alles verloren. Ich habe keine Kraft mehr.
»Fräulein, das ist gefährlich!«
Als eine Hand sich mir schwer auf die Schulter legte, zuckte ich zusammen.
»Lassen Sie mich los«, bat ich heiser und musste husten.
»Aber ganz bestimmt nicht. Kommen Sie von dem Geländer weg.«
Ich wurde unnachgiebig von der Brücke geführt, und dabei löste sich der Schal und rutschte von meinem Kopf.
»Großer Gott! Amara? Amara, sind Sie das wirklich?«
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf.
»Ella, Ella Wirth.«
»Quatsch, Ella strampelt sich bei Nadina in Berlin ab. Was haben Sie nur angerichtet, Amara?«
Endlich hob ich den Kopf und erkannte den roten, buschigen Bart des Reisenden.
»Mac?« Ungläubig starrte ich ihn an.
»MacPherson, ganz der Leibhaftige. Auf der Durchreise nach Köln. Musste in diesem trübsinnigen Nest Halt machen, um ein paar Geschäfte abzuwickeln. Mädchen, Ihnen klappern ja alle Knochen im Leib. Kommen Sie mit ins Warme.«
Wieder ließ ich mich führen und landete in der Gaststube der Posthalterei. MacPherson bestellte mir einen Teller Suppe und Kaffee, und willenlos aß ich, während er mich beobachtete.
»Ich kann nicht glauben, was ich sehe, Amara. Sie waren immer so ein adrettes Mädchen«, sagte er dann leise. »Ich habe von dem Vorfall im vergangenen Herbst gehört.«
»Es war ein Unfall!«
»Natürlich. Was verschlug Sie ausgerechnet nach Elberfeld?«
Der Alkohol, den ich seit dem Aufstehen getrunken hatte, benebelte meine Gedanken noch immer, das warme Essen hatte mich schläfrig gemacht.
»Ist doch egal«, nuschelte ich, lehnte mich in die Ecke und schloss die Augen.
»Nein, es ist nicht egal.« MacPherson rüttelte an meinen Schultern. »Trink deinen Kaffee, damit du wieder nüchtern wirst.« Er hielt mir die Tasse an die Lippen, und gehorsam trank ich das starke schwarze Zeug aus, das schon seit geraumer Zeit auf dem Herd gestanden hatte.
»Igitt, ist das bitter.«
»Süße Schokolade gibt es hier nicht. Ich habe ein ganz annehmbares Zimmer gemietet. Du gehst jetzt nach oben und schläfst deinen Rausch aus. Und anschließend wäschst du dich. Du riechst, als hättest du mit deinen Röcken eine Schankstube aufgewischt.«
Das kam der Wahrheit ziemlich nahe, und noch einmal nickte ich gefügig.
»Wo wohnst du?«
»Im Island.«
»Mist, das ist eine üble Ecke.«
Ich hob nur müde die Schultern
»Ich helfe dir nach
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