Göttertrank
wahrscheinlich nicht. Ich bin naiv gewesen, nicht wahr?«
»Kurzsichtig. Aber frag dich etwas anderes – warum wolltest du denn früher ein Café führen?«
»Weil es da immer so gut riecht«, war meine prompte Erwiderung, und ich musste auflachen, weil ich von meiner Antwort selbst überrascht war. »Ja, das war wohl ganz am Anfang der Grund. Ich habe schon als ganz kleines Kind den Geruch von Kakao geliebt. Meine Mutter war für die Zubereitung zuständig, und – ja, irgendwie ist die Geborgenheit und Zärtlichkeit, die sie mir gegeben hat, das, was ich mit diesem Duft verbinde.«
»Hast du Geborgenheit und Zärtlichkeit von Masters erwartet?«
»Großer Gott, nein.«
»Nein?«
Aber er hatte auf andere Weise recht. Die Geborgenheit hatte ich verloren, und auch daran war ich zerbrochen. Geborgenheit würde ich nicht mehr finden. Langsam nickte ich.
»Es stimmt. Mac. Danach habe ich wohl gesucht. Nach einem Kindertraum.«
Um uns herum war es laut, Gäste riefen nach Getränken, Stühle scharrten über die Holzbohlen, man unterhielt sich lebhaft, in einer Ecke wurde mit vehementem Klopfen auf den Tisch Karten gespielt, Pfeifenrauch hing in der Luft, und ein kleiner Hund kläffte unter dem Tisch.
Niemand schenkte uns Aufmerksamkeit, einer mageren, jungen Frau in unscheinbaren Kleidern und einem großen rothaarigen Mann in mittleren Jahren. Niemand nahm Anstoß daran, dass er mir den Arm um die Schultern legte und mich an sich zog.
»Ach Mac!«, sagte ich leise und lehnte meinen Kopf an seine Brust. Der Tweed seiner Jacke war kratzig und roch nach Tabak.
»Geborgenheit sucht ein Kind, Amara. Aber du bist erwachsen geworden.«
»Bin ich das?«
»Langsamer als andere. Du bist immer beschützt worden.«
Wie wahr, überlegte ich und schloss die Augen. Ich hatte eine behütete Jugend gehabt. Und als das Unglück mich ereilte, hatte ich vorausgesetzt, dass mich wieder ein gütiges Schicksal befreite. Das tat es aber nicht, und stattdessen beging ich Fehler über Fehler.
»Ich habe immer genommen, nie gegeben«, murmelte ich.
»Richtig.«
»Ich bin so einsam.«
»Daran kann ich auch nichts ändern.«
»Ich weiß.«
Er nahm mein Kinn in seine Hand und hob mein Gesicht an. Seine Augen waren braun und blickten warm. »Aber eine Nacht lang Zärtlichkeit und Geborgenheit kannst du von mir haben, mo puiseag .«
»Wird mir das helfen, Mac?«
»Vielleicht weißt du dann besser, wonach du suchst.«
»Dann lass uns gehen.«
Wir stiegen, von den Gästen kaum beachtet, die Treppe empor zu MacPhersons Zimmer.
Er hielt, was er versprochen hatte. Er war zärtlich und sanft und nahm mir die Scheu vor der körperlichen Liebe. Es war eine ganz andere Erfahrung als die, die ich zuvor gemacht hatte.
Weder die Tändeleien mit Giorgio noch die zurückhaltenden Liebkosungen Julius’ oder die feinfühligen Handküsse Gilberts hatten derartige Gefühle hervorgerufen. Mac nahm mich mit in eine Welt der Ekstase und weckte ein bislang sorgsam unter Verschluss gehaltenes ungezähmtes Tier.
Ich wachte auf, als die Sonne ins Fenster schien. Noch lag ich in seinen Armen, den Kopf an seine rotbehaarte Brust gelehnt. Er mochte über vierzig sein, sein Bauch nicht mehr straff, seine Augen von unzähligen Fältchen umgeben, und in seinem Bart schimmerten vereinzelte weiße Haare. Ja, Mac hatte mir Geborgenheit geschenkt, einmal noch, stellte ich zufrieden und gelöst fest. Aber er würde abreisen – er war ein unsteter Wanderer – und mich wieder allein lassen. Wir würden einander wiedersehen, und ob sich eine solche Nacht wiederholen konnte, würde von den Umständen abhängen. Andererseits …
Er regte sich, und ich legte meine Hand auf seine Brust.
»Wach, mo puiseag ?«
»Ja, Mac. Sag, in welche Richtung reist du?«
»Nach Köln, noch heute.«
»Gut, Mac. Nimm mich bitte mit. Nach Köln. Nicht weiter. Ich glaube, dort habe ich bessere Möglichkeiten, meinen Traum zu finden, als in Elberfeld.«
»Das, Amara, würde ich jederzeit unterschreiben«, sagte er mit einem Grinsen und zog mich noch einmal in seine Umarmung.
Ein Häuschen auf dem Lande
O, Zuversicht und Jugendblut,
Wie schön vollendet ihn der Mut!
Er reift zum Mann, er kehrt zurück,
Er baut sein Haus und sucht sein Glück.
Der Mensch, Hessemer
»Hannes, halt mal das Rohr!«, forderte Alexander den untersetzten Jungen auf, der mit seinen großen Händen bereitwillig das Blechrohr übernahm. Es war eine Knochenarbeit, die Alexander sich
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