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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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düsteren Städtchens, und der trübe Oktobertag wurde durch die Rußwolken der Fabriken noch weiter verdunkelt. Irgendwann fand ich schließlich eine schäbige Pension, in der ich mich ausruhen konnte. Ich verkroch mich vor meinem Elend in dem knarrenden Bett und zog die Decke über mich. So viel hatte ich verloren, und nun war auch der letzte Hoffnungsschimmer erloschen.
    Zwei Tage später hatte ich mich schließlich aufgerafft und die Fabrik von Reinecke aufgesucht. Aber auch hier erhielt ich nur eine barsche Abfuhr, als ich mich nach Alexander erkundigte. Er schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein, und die seltsamsten Gedanken befielen mich. Ganz offensichtlich hatte es zwischen ihm und der Familie, in die er eingeheiratet hatte, große Zerwürfnisse gegeben und er hatte den Ort schon vor geraumer Zeit verlassen. Was natürlich auch erklärte, warum er nicht mehr auf unsere Briefe antwortete – er hatte die gar nicht mehr erhalten. Und die Abneigung der Reineckens erstreckte sich nicht nur auf ihn, sondern auch auf alle Personen, die mit ihm in Verbindung standen. Hätte ich mich nicht so tief in meinem eigenen Elend verkrochen, hätte ich vielleicht an anderen Stellen weitergeforscht. Aber so ließ ich die Zeit ungenutzt verstreichen.
    Dennoch erhielt ich eine Woche später von unerwarteter Seite Auskunft. Ein sonniger Herbsttag hatte mich nach draußen gelockt, und ich schlenderte ziellos durch den Luisenpark, als ich plötzlich eine Kinderstimme hörte.
    »Das ist doch die Dame mit dem Koffer, die das Fräulein weggeschickt hat, Fräulein Berit!«
    »Wen meinst du, Julia?«
    »Da, die in Schwarz. Die hat letzte Woche bei uns geklingelt und was gefragt.«
    Ich blieb stehen und sah mich um. Julia, so hieß Alexanders Tochter, erinnerte ich mich. Das Mädchen mochte um die sieben Jahre alt sein und wurde von einer jungen Gouvernante begleitet. Glücklich über diese Fügung ging ich auf die beiden zu.
    »Guten Tag, junge Dame. Entschuldige bitte, dass ich dich so einfach anspreche.«
    »Macht doch nichts. Hat die alte Ziege Sie vergrault?«
    »Bitte?«
    »Die mäkelige Kinderfrau. Sie haben bestimmt Arbeit gesucht, nicht wahr?«
    »Nein, mein Fräulein. Ich habe nach einem Bekannten gesucht, den ich aus Berlin kenne. Ich... ich bin gerade erst angekommen und... und wollte ihm Guten Tag sagen.«
    »Dann wissen Sie das nicht.« Die Kleine nickte ernsthaft. »Sie wollten sicher zu Papa.«
    »Zu Herrn Alexander Masters, ja.«
    »Das ist Papa. Aber er ist nicht mehr bei uns. Sie haben ihn vor zwei Jahren geholt.«
    »Julia, du darfst nicht so vorlaut sein. Verzeihen Sie, gnädige Frau, das Kind plappert zu viel«, mischte sich die Gouvernante ein.
    »Ich will nicht aufdringlich sein, aber wir – Herr Masters und ich – standen in Briefkontakt. Und ich hatte gehofft …«
    »Aus Berlin? Er bekam immer Briefe aus Berlin«, sprudelte das Mädchen wieder hervor.
    »Ja, aber die letzten hat er nicht beantwortet.« Ich wandte mich an Julias Begleiterin. »Können Sie mir seine neue Adresse nennen? Es wäre sehr hilfreich.«
    Die Gouvernante musterte mich eingehend und nickte dann.
    »Der Patron hat alle Briefe an Herrn Masters an sich genommen. Es scheint mir nicht recht zu sein. Es ist wohl besser, Sie wissen die Wahrheit, gnädige Frau.« Die Witwenkleidung, fiel mir ein, mochte mir den Status einer gnädigen Frau zuweisen, darum widersprach ich nicht, sondern fragte: »Ja, bitte, sagen Sie mir doch, was vorgefallen ist.«
    »Herr Masters wurde wegen staatsfeindlicher Umtriebe verhaftet und zu zweieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. Man hält ihn in Jülich gefangen.«
    Mir wurde schwindelig, und die kräftige, junge Frau musste mich stützen, damit ich nicht zusammensank.
    »Das ist ja entsetzlich«, murmelte ich.
    »Die falsche, schafsköpfige Ziege mit ihrem Rattenhirn hat ihn verpetzt!«, fauchte Julia. »Er hat nichts Falsches getan.«
    »Nein, dein Papa hat nichts Falsches getan.«
    »Und er kommt ganz bestimmt nächsten Sommer wieder zurück.«
    »Nächsten Sommer.« Meine Stimme klang tonlos in meinen Ohren.
    »Können wir Ihnen irgendwie behilflich sein, gnädige Frau?«
    »Nein. Nein, danke schön. Ich komme schon zurecht.« Ich rieb mir die Schläfen, dann verabschiedete ich mich von den beiden, wanderte gedankenverloren weiter und geriet so zu den Garnbleichen an der Wupper und in das Gebiet der heruntergekommenen Arbeiterbaracken. Hier zogen sich am Ufer die Industrieanlagen entlang, und im Wasser

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