Göttertrank
einem Ecktisch und schlängelte mich durch die zahlreichen Gäste zu ihm.
»Schon besser, Mädchen. Viel besser. Jetzt essen wir noch etwas Ordentliches. Und du erzählst mir, was passiert ist.«
Ich tat es bei einem Stück gebratenem Huhn, das erstaunlich zäh war, und er hörte mir, bis auf wenige Zwischenfragen, schweigend zu.
»Ich habe nichts falsch gemacht, Mac. Als Melli im Gefängnis stand, konnte ich sie doch nicht wegschicken«, schloss ich meinen Bericht.
»Ich weiß nicht. Ich komme viel herum, Amara, und du wirst in vielen Orten per Signalement gesucht. Zum Glück ist die Beschreibung recht oberflächlich, und wenn du der Obrigkeit nicht auffällst, wird dich niemand überführen. Aber es wäre besser gewesen, du hättest dich dem Gericht gestellt. Der junge Arzt hat ausgesagt, sein Freund sei am Wundstarrkrampf erkrankt und bei den dadurch ausgelösten krampfartigen Zuckungen in das Messer gefallen. Dieser Version hätte man sicher mehr Glauben geschenkt als der, dass du einem Gast bei vollbesetztem Café vorsätzlich die Gurgel durchgeschnitten hättest. Deine Flucht lässt das aber in einem anderen Licht erscheinen.«
Ich ließ den Kopf hängen. »Ich war wie von Sinnen damals.«
»Das lasse ich gelten. Aber hier warst du nicht mehr von Sinnen. Hier hast du dich um den Verstand getrunken.« Er sah mich lange an und lächelte dann. »Ich erinnere mich noch an deinen Bericht, wie du einem alten Wüstling den Daumen ausgerenkt hast. Damals dachte ich, es müsse eine gehörige Portion innerer Kraft und Mut in dir stecken. Ich habe dich auch bei Nadina resolut auftreten sehen. Du hast eine sichere Art, renitente Gäste zur Räson zu bringen, unverschämte Lieferanten zurechtzuweisen und sogar mit mir zäh zu verhandeln. Wo ist diese Energie geblieben? Woran bist du zerbrochen, Amara?«
Ich trank meinen Kaffee, diesmal war er frisch aufgebrüht, und mir ging auf, dass Mac gerade einen entscheidenden Punkt berührt hatte. Woran bin ich zerbrochen? An dem Verlust Gilberts? Sein Tod und die Umstände, die dazu geführt hatten, waren schrecklich, aber schon jetzt hatte ich Schwierigkeiten, mir sein Gesicht vorzustellen. An dem Verlust von Nadina und Melli? Ja, das war gewiss ein Grund. Sie waren meine Familie, Freunde, Geschäftspartner, alles in einem. Sie waren mein Halt von dem Augenblick an, als ich meine Mutter verloren hatte. Zu ihnen hatte mich Alexander Masters geführt, und in meiner durch Schmerz und Erschütterung eingeengten Sicht wollte ich in ihm erneut den Retter sehen. Aber er kämpfte gerade mit seinen eigenen Problemen. Es war dumm von mir, mich ausschließlich auf ihn zu konzentrieren. Zu hoffen, dass er mich ein zweites Mal auffangen und mir den Weg in eine bessere Zukunft weisen würde. Was sollte ihm schon an mir liegen? Wir waren uns nur flüchtig begegnet – ein verstörtes, junges Mädchen und ein ehrgeiziger Mann mit eigenen, hohen Zielen. Weil ich das nicht einsehen wollte, weil ich mit dieser Erwartung auf Erlösung hergekommen war, hatte ich mich einer Illusion hingegeben. Weil sie nicht zur Wirklichkeit wurde, hatte ich mich aufgegeben und war daran gescheitert.
»Ich habe einer wirren Vorstellung nachgehangen, Mac. Soeben ist mir das aufgegangen.« Ich strich mir über die Augen, müde und trostlos, denn die Erkenntnis war bitter. »Ich wollte gerettet werden, aber der Retter war – verhindert. Ich habe mich nicht mehr auf mich selbst besonnen, das war mein Fehler. Ich weiß auch nicht, warum, Mac. Früher, da hatte ich Wünsche, auf deren Erfüllung ich hinarbeiten wollte. Doch inzwischen ist meine Sehnsucht gestorben. Daran bin ich zerbrochen.«
»Wonach hast du dich gesehnt, Amara?« Macs Stimme war leise, fast liebevoll, und seine Hand deckte sich über meine. Die Geste brachte mich dazu weiterzureden, auszusprechen, welchen Weg meine Gedanken nahmen, ohne dass ich sie daran hätte hindern können.
»Das Schlimme ist, ich weiß sogar das nicht mehr. Als meine Mutter noch lebte, da wollten wir unbedingt ein Café aufmachen. Dann starb Fritz und kurz darauf sie. Aber Nadina hat mir geholfen, diesen Wunsch doch zu verwirklichen. Zu ihr kann ich nicht mehr zurück.«
»Mach dein eigenes Café auf.«
»Wie denn? Ich habe kein Geld, eine falsche Identität, werde steckbrieflich wegen Mordes gesucht …«
»Das sind zugegebenermaßen gewisse Hürden. Hätte Masters dir darüber hinweghelfen können?«
Verblüfft sah ich den bärtigen Schotten an.
»Nein. Nein,
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