Göttertrank
ihr eine kleine Mitgift gestellt und die Gräfin für uns beide die Festtagskleider anfertigen lassen. Es war nur eine bescheidene Feier, denn viele Verwandte hatten meine Mutter und mein neuer Stiefvater nicht. Doch trafen allerlei Glückwünsche von Wolkings zufriedenen Kunden ein, und auch Kollegen und Lieferanten machten dem Brautpaar ihre Aufwartung. Ich schenkte immer wieder Kaffee aus und reichte die köstlichen Petits Fours herum, für die Fritz bekannt war. Dabei versuchte ich, mir möglichst viele Namen und Gesichter zu merken, denn ich hatte festgestellt, dass die Leute sich darüber freuten, wenn man sich an sie erinnerte. Doch am späten Nachmittag ging allmählich ein Gesicht in das andere über.
Bis der rothaarige Riese eintrat. Er schlug dem Bräutigam krachend auf die Schultern, schmatzte meiner Mutter lauthals einen Kuss auf die Lippen und stellte sich uns als MacPherson vor. »Reisender. Kaufe und verkaufe alles, was Sie haben oder brauchen.«
»Er beschafft uns Kaffee und Kakao aus Bremen, Zucker aus Köln, Mandeln, Nüsse, Orangen, Ananas – du wirst schon sehen, Birte, er ist ein nützlicher Mann«, erklärte Fritz und schenkte dem Schotten, der den Champagner angewidert ablehnte, ein Glas Bier ein. »Aber kultiviert ist er nicht.«
Meine Mutter lachte und trank ihm zu. Ich war ungemein fasziniert von seiner rauen, überschwänglichen Art, und als ich ihm den Teller mit den Petits Fours anbot, rutschte mir, ehe ich mich bremsen konnte, heraus: »Möchten Sie einen Kuchen, oder fressen Sie lieber kleine Kinder?«
MacPherson lachte so dröhnend auf, dass die Gläser klirrten, nahm meine Hand in seine Pranke, hob sie an die Lippen und hauchte vollendet kultiviert einen Kuss darauf.
»Eure Tochter, Wolking?«
»Ja, unsere Tochter Amara.«
Bei diesen Worten schwammen meine Augen plötzlich in Tränen.
Entscheidung zwischen Kaffee und Kuchen
Man sage nicht, das Schwerste sei die Tat,
Da hilft der Mut, der Augenblick, die Regung:
Das Schwerste dieser Welt ist der Entschluß.
Libussa, Grillparzer
An der langen Tafel wurde aus dickbauchigen Kannen Kaffee ausgeschenkt, starker schwarzer Kaffee, keine sparsame Brühe, durch die man das Blumenmuster am Boden der hauchzarten Tassen erkennen konnte. Blümchenkaffee gab es bei Jantzens nicht. Schon erst recht nicht zur Konfirmation des einzigen Sohnes des Hauses.
Jan Martin saß unbehaglich auf dem Ehrenplatz inmitten der großen Familie, die sich zu seinem Fest versammelt hatte. Vier Onkel und Tanten väterlicherseits, drei aus der Familie der Mutter, beide Großelternpaare, ein paar enge Freunde der Familie und unzählige Cousinen und Cousins hatten sich eingefunden, um seinen Schritt in die Welt der Erwachsenen zu feiern. Zu diesem Behufe hatte er einen neuen Anzug bekommen, sehr steif und unbequem, doch aus gutem, festem Tuch geschneidert. Der hohe Kragen des Hemdes und das kompliziert gebundene Halstuch erwürgten ihn fast, der Hosenbund spannte sich ungemütlich über dem vollen Magen, und an der Goldkette an seiner Weste tickte die neue Uhr, die ihm der Vater an diesem Morgen überreicht hatte.
Die Gäste hatten den aufgetischten Köstlichkeiten reichlich zugesprochen, und auch er hatte sich, weil er sich nicht traute, an den Gesprächen teilzunehmen, mehr aus Verlegenheit als aus Appetit mehrere Stücke Torte einverleibt.
Drei Kaufleute, ein Reeder, ein Kapitän, der Leiter der Seeversicherung und natürlich der Arzt und Botaniker Doktor Roth unterhielten sich lebhaft über die typischen Themen der Bremer Bürger – über den Kaffeemarkt, die Geschäftsbeziehungen zu den Kolonien, die Gefahren des Seehandels, den ständigen Kampf gegen die Versandung des Weserhafens und die technische Entwicklung im Schiffsbau. Dabei wurde besonders kontrovers der Einsatz der Dampfmaschine als Antrieb für die Schiffe diskutiert, ein Thema, das Jan Martin nun überhaupt nicht interessierte. Ob die Savannah den Atlantik erfolgreich überquert hatte oder in diesem Jahr Postdampfer auf der Ostsee eingesetzt werden sollten, war ihm gleichgültig. Er nahm sich stattdessen noch ein Stück Schokoladenkuchen, was seine Cousinen, beide ein Jahr älter als er, dazu brachte, sich kichernd anzustoßen und vielsagende Blicke zu tauschten.
Er mochte die Mädchen nicht. Sie machten ihn noch unsicherer, als er üblicherweise schon war. Nicht nur die rote Brandnarbe, die sich von der Schläfe bis zur Stirn und unter dem Auge über den Wangenknochen hinzog,
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