Göttertrank
war der Grund dafür. Sie war tatsächlich im Laufe der Jahre blasser geworden. Dafür aber hatten sich über sein ganzes Gesicht hässliche Pickel ausgebreitet. Schlanker war er seit seiner Kindheit auch nicht geworden. Der Babyspeck saß in einer soliden Rolle um Bauch und Hüften und verlieh ihm ein für sein Alter erstaunlich würdiges Doppelkinn.
Das Gespräch wandte sich den Importwaren zu, und irgendwer sprach plötzlich von Kakao und den Gewinnmargen, die man mit den Bohnen erzielen konnte.
Hier hörte Jan Martin aufmerksamer zu, ja er ließ sogar die Kuchengabel sinken und sah von einem Sprecher zum anderen. Sein Vater lehnte nach wie vor vehement die Beschäftigung mit diesem sensiblen Gut ab, sein Schwager jedoch verteidigte den Handel mit dem exotischen Gewächs.
»Schnellere Schiffe werden verhindern, dass die Ware verdirbt, Jantzen. Ein Grund mehr, sich der Dampfschifffahrt zuzuwenden. Nur weil dir einmal eine Ladung verloren ging, kannst du dich doch nicht auf ewige Zeiten dem Handel damit verschließen.«
»Solange niemand weiß, warum sich das verd... entschuldigung, das Zeug selbst entzündet, lasse ich die Finger davon. Gott, es hätte das gesamte Schiff in Flammen aufgehen können.«
Jan Martin druckste herum. Er hätte sich gern eingemischt, traute sich aber nicht. Doktor Roth bemerkte seine Qualen und nickte ihm zu.
»Ihr Junge könnte Ihnen, glaube ich, eine Antwort darauf geben, Jantzen«, warf er ein. Alle Gesichter drehten sich Jan Martin zu, der heftig errötete.
»Kannst du das, mein Sohn?«
»Ja... ähm.« Er musste sich räuspern, aber dann sprudelte es aus ihm heraus. »Es liegt daran, wie gut die Bohnen getrocknet sind, Vater. Wir haben... ähm... Experimente gemacht.«
»Der junge Mann hat sie gemacht. Mit Kakaobohnen unterschiedlichster Art. Es war sehr aufschlussreich. Berichten Sie von den Ergebnissen, Jan Martin«, forderte der Arzt ihn auf.
Jan Martin musste nochmals schlucken. Das erste Mal redete ihn jemand mit Sie an. Aber es machte ihm Mut zu schildern, was er getan und welche Schlüsse er daraus gezogen hatte.
»Wenn die Bohnen noch feucht gelagert werden, entwickeln sich bei warmen Temperaturen Gase, die sich leicht entzünden. Dadurch entstehen kleine Glutnester in der Ladung. Solange keine frische Luft darankommt, schwelen sie vor sich hin. Aber sie entzünden sich, wenn die Ladung in Bewegung gerät.«
»Das verstehe ich nicht«, meinte einer der anderen Kaufleute. »Wir verschiffen seit Jahren Kaffeebohnen, und selbst wenn die feucht sind, passiert so etwas nicht.«
»Kaffeebohnen sind anders. Die Kakaobohnen enthalten viel mehr Fett. Das sehen Sie doch, wenn Sie Kakao kochen – der fettige Schaum auf der Tasse, wissen Sie.«
»Richtig, und dieses Fett brennt leicht.« Jan Martins Onkel, der Reeder, nickte ihm anerkennend zu.
Jan Martin hätte sich an seinem Erfolg erfreuen können, hätte nicht die Cousine ihm gegenüber laut ins Ohr ihrer Nachbarin gezischelt: »Na, dann muss unser Dickerchen aufpassen, dass er sich nach dem Baden immer gut abtrocknet. Sonst geht er eines heißen Sommertags auch einfach in Flammen auf.«
Obwohl seine Mutter und drei Tanten die Mädchen empört maßregelten – es half nichts, die Worte waren ausgesprochen und das Bild so plastisch, dass selbst die wohlmeinendsten unter den Gästen Mühe hatten, ihre Belustigung hinter zusammengekniffenen Lippen zu verbergen.
Einzig Jan Martin war nicht belustigt.
Endlich waren die Gäste gegangen, nur Doktor Roth blieb noch, und Jantzen bat ihn und seinen Sohn, ihm in die Bibliothek zu folgen.
»Einen Sherry?«, fragte er, und der Botaniker nickte. »Du auch, mein Sohn?«
Es war Balsam auf seine Seele, als Mann behandelt zu werden. Jan Martin nahm dankbar das geschliffene Glas mit der strohhellen Flüssigkeit entgegen. Die mit einem Augenzwinkern angebotene Zigarre hingegen lehnte er klugerweise ab.
»Vierzehn Jahre – ein Alter, das Mühen bereitet, wenn ich mich recht entsinne«, meinte Doktor Roth und nickte Jan Martin über sein Sherryglas hinweg zu. »Man steht an der Schwelle, man steht vor Entscheidungen. Man muss eine Richtung für das künftige Leben finden.«
»Ja, mein Sohn, das muss ein Mann zu bestimmten Zeiten in seinem Leben. Hast du dir schon Gedanken über deine Zukunft gemacht?«
»Ich gehe doch noch aufs Gymnasium, Vater.«
»Sicher. Und du wirst dich wundern, wie schnell die Schulzeit zu Ende ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich anschließend
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