Göttertrank
diesem Reich gegeben. Der französische Koch wollte niemanden an seiner Seite gelten lassen, und es bedurfte tatsächlich eines Machtworts seitens der Gräfin, dem er zunächst mit der Androhung seiner fristlosen Kündigung, dann mit märtyrerhafter Resignation begegnete. Doch das Arbeitsklima blieb eisig, und möglicherweise war das der Grund, warum meine Mutter oft mit dem Zuckerbäcker Fritz Wolking plauderte, der den Haushalt bei großen Festen mit seinen exquisiten Torten belieferte. Ich bemerkte bald, dass ihre Wangen eine rosige Färbung annahmen, wenn sie wieder einmal mit Fritz »Rezepte ausgetauscht« hatte, wie sie ihre Tändelei fröhlich umschrieb. Auch ich mochte den rundlichen Mann, der süßen Duft ebenso wie achtbare Gediegenheit verbreitete.
Die Dinge hätten sich vielleicht anders entwickelt, wenn die Massows im darauffolgenden Sommer wieder auf das Gut zurückgekehrt wären. Aber kurz vor Pfingsten fand sich Lady Henrietta unerwartet in der Küche ein. Wir waren allein, der Koch hatte seinen freien Tag, und höflich knicksten wir beide, als sich die Gräfin ohne Umschweife an den sauber geschrubbten Arbeitstisch setzte.
»Ich muss mit Ihnen reden, Birte.«
»Amara, geh bitte in unser Zimmer«, forderte meine Mutter mich auf, aber Lady Henrietta schüttelte den Kopf. »Sie sollte dabei sein. Sie ist ja schon ein großes Mädchen.«
Beklommen hockte ich mich auf die Stuhlkante und faltete brav die Hände im Schoß. Obwohl ich erst neun Jahre alt war, verstand ich sehr wohl die äußerst ungewöhnliche Situation. Meine Mutter sah ebenfalls aus, als ob sie sich nicht recht wohl in ihrer Haut fühlte.
»Das, was ich zu sagen habe, unterliegt allerstrengster Vertraulichkeit. Ich bitte dringend darum, dass alles absolut unter uns bleibt.«
»Selbstverständlich, gnädige Frau.«
»Ganz bestimmt, gnädige Frau!«
»Ich weiß, ihr seid keine Schwatzbasen. Nun, es hat sich ergeben, dass der General einen bisher noch nicht öffentlich bekannten Ruf nach London erhalten hat, dem er beschlossen hat zu folgen. Er wird eine wichtige diplomatische Aufgabe übernehmen, die für das Vaterland von äußerster Wichtigkeit ist. Wie ihr wisst, lebt meine Familie in England, und ich möchte die Gelegenheit nutzen und ihn begleiten. Auf diese Weise werde ich auch meine Verwandten wiedertreffen und alte Bande neu knüpfen. Wir werden voraussichtlich zwei oder drei Jahre bleiben.«
Ich hatte einen Kloß im Hals. Meine Mutter strich sich die Schürze glatt und schaute auf ihre Hände. Mit belegter Stimme fragte sie: »Sie... Sie kündigen mir, gnädige Frau?«
»Nein, Birte, das war nicht der Zweck dieser Unterredung. Dafür schätze ich Sie viel zu sehr. Ich wollte Sie nur frühzeitig genug auf die kommenden Ereignisse vorbereiten, damit Sie Ihre Entscheidung treffen können. Sie haben nämlich mehrere Möglichkeiten.«
Ich hörte meine Mutter leise seufzen. Dann sah ich in Lady Henriettas Augenwinkeln ein winziges Lächeln zwinkern, und plötzlich löste sich die leise Anspannung.
»Höchst interessante Möglichkeiten, Birte.«
Mit Verwunderung bemerkte ich, wie sich die Wangen meiner Mutter tiefer röteten.
»Habe ich die?«
»Nun, zum einen könnten Sie hierbleiben und in dem frostigen Klima der Küche weiterarbeiten. In dieses Haus hier werden zwei verwitwete Cousinen des Grafen einziehen. Sie sind, wenn ich es recht verstanden habe, verhältnismäßig anspruchslos.«
»Ja, gnädige Frau?«
»Ja. Andererseits könnten Sie auch nach Evasruh zurückkehren. Dort gibt es aber vermutlich noch weniger für Sie zu tun.«
»Vermutlich, gnädige Frau.«
»Oder Sie könnten das ehrliche Angebot eines anständigen Mannes annehmen.«
Inzwischen war meine Mutter zu einem rotbackigen Apfel geworden und knotete vor Verlegenheit die Zipfel ihrer gestärkten Schürze in den Händen zusammen. Leise lachte Lady Henrietta auf. »Fritz Wolking hat ganz förmlich bei mir vorgesprochen, Birte. Er macht einen grundsoliden Eindruck auf mich, und seinen wohlgesetzten Worten entnahm ich eine aufrichtige Zuneigung zu Ihnen und Ihrer Tochter. Sie sind jetzt... siebenundzwanzig?«
»Bald achtundzwanzig.«
»Zeit zum Heiraten, nicht wahr? Wolkings Konditorei genießt einen guten Ruf, er verdient ganz ordentlich, und zusammen mit Ihnen wird er einen noch größeren Erfolg haben. Oder fühlen Sie eine Abneigung gegen ihn?«
Stumm schüttelte meine Mutter den Kopf.
»Oder du, mein Kind?«
»Nein, gnädige Frau. Ich mag Herrn
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