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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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putzte sie sich heraus, und wie er von seiner Tochter erfuhr, genoss sie es, am Nachmittag in einem der vornehmen Cafés die tragische Gräfin zu geben. Ob und wen sie damit beeindrucken konnte, hinterfragte er nicht. Es war der Preis für den Familienfrieden, den er zu zahlen hatte.
    Samstag und Sonntag hielt Alexander sich, soweit es seine Arbeit zuließ, für Julia frei. In der Schule erhielt sie überwiegend schöngeistigen Unterricht. Literatur, Rede- und Stilübungen, französische Konversation, Gesang und Rezitation, Zeichnen und feine Handarbeiten standen auf dem Lehrplan, Geschichte und Naturkunde nahmen einen geringen Raum ein, noch weniger das praktische Rechnen.
    Die Ausbildung darin übernahm Alexander, und erfreut stellte er fest, dass Julia eine erstaunliche Auffassungsgabe für mathematische Problemstellungen entwickelte. Er unterrichtete sie auch in der englischen Sprache, was ihr jedoch schwerer fiel. Aber sie bemühte sich redlich, um ihn nicht zu enttäuschen.
    Langsam, ohne es zu überstürzen, ohne zu viel zu fordern, gelang es Vater und Tochter, ein kameradschaftliches Vertrauensverhältnis aufzubauen. Auf diese Weise erfuhr Alexander auch mehr und mehr, wie sich Amaras Leben gestaltete, zu der Julia große Zuneigung entwickelt hatte. Es überraschte ihn selbst, wie neugierig er auf die kleinen Anekdoten aus dem Haushalt Bevering, Amaras persönliche Ansichten und ihre Beschäftigung in der Apotheke war.

Küchengeheimnisse
    Keine Puppe will ich haben -
Puppen gehn mich gar nichts an.
Was erfreu’n mich kann und laben,
Ist ein Honigkuchenmann.
    August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
     
     
    »Man kann alle Früchte nehmen, die frisch sind, aber Äpfel und Birnen muss man zuvor blanchieren«, erläuterte Gérôme Médoc seiner Herrin Dorothea von Finckenstein in der geräumigen Küche des Herrenhauses. »Diese Kirschen hier jedoch habe ich nur entkernt und die Haut mit der Nadel einige Male eingestochen.«
    Dorothea naschte eine Kirsche und sorgte dafür, dass der Saft das Rot ihrer Lippen vertiefte. Ihr Koch registrierte es mit Genugtuung, fuhr aber ungerührt in seiner Belehrung fort.
    »Wir gießen nun den konzentrierten Zuckersud darüber und verschließen die Schüssel mit einem Deckel. Einen Tag bleiben die Früchte darin. Diese hier habe ich gestern eingelegt. Wir werden heute den Sud noch einmal einkochen und mit weiterem Zucker auffüllen.«
    Das Geheimnis der kandierten Früchte interessierte Dotty nicht so sehr wie die flinken Finger des Franzosen. Richard Fink von Finckenstein weilte seit einem halben Jahr in Berlin und ging dort weniger Geschäften als dem süßen Leben nach. Die Versuchung, es ihm gleichzutun, wuchs in seiner Gattin von Tag zu Tag. Unterricht in der Herstellung kandierter Früchte mochte dazu der passende Beginn sein. Gérôme Médoc, südfranzösischer Herkunft und fragwürdiger Abkunft, war ein dunkler, schwarzhaariger Künstler, der den von ihm hergestellten Produkten selbst gerne zusprach und es zu einer stattlichen Leibesfülle gebracht hatte. Dorothea war sich sicher, dass er, im Gegensatz zu ihrem Gatten, auch ihre voluminöse Figur nicht abstoßend finden würde. Ganz gewiss aber würde er es nie wagen, sie eine fette Kuh zu nennen.
    »Man wiederholt die Behandlung fünf Tage lang, dann kocht man die Früchte einmal ganz kurz auf und lässt sie anschließend auf einem Drahtgitter trocknen. Wie Sie hier sehen!«
    Die leicht transparenten, leuchtend roten Kirschen lockten Dottys Finger an, und mit einem tiefen Blick in Médocs Augen führte sie eine der kandierten Früchte zum Mund. Ihre Zungenspitze huschte einmal rasch darüber, dann senkte sie die Lider, gab einen winzigen genießerischen Laut von sich und lutschte langsam, sehr langsam an der Kirsche. »Ja«, seufzte sie langgezogen und öffnete die Augen wieder.
    Der Koch unterdrückte ein siegessicheres Lächeln. Seine Verführungskünste waren noch nicht erschöpft.
    »In einer Kasserolle, gnädige Frau, habe ich Sahne mit Vanille und Zucker eingekocht, und nun werden wir sie in ein Wasserbad setzen und nach und nach Schokoladenmasse dazugeben.«
    Ein köstlicher Duft erfüllte die Küche, als die dunkelbraune Masse langsam schmolz. Dottys Herz schmolz im selben Maße, als sie zusah, wie Médoc die Ärmel seines Hemdes aufrollte und schwarz behaarte, muskulöse Unterarme zur Schau stellte. Wie sich bei näherer Prüfung ergab, hatte er einige Jahre in seinem Lebenslauf schamhaft verschwiegen.

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