Göttertrank
Sie vermutete einen Aufenthalt in einem der Bagnos, in denen die Straftäter an Ketten gefesselt harter Arbeit nachkommen mussten, denn sie hatte eine entsprechende Narbe an seinem Bein und etliche von Schlägen herrührende auf seinem Rücken bemerkt, als sie ihn einmal mit dem Fernrohr ihres Mannes bei einem Bad im See hinter dem Haus beobachtet hatte. Diese Spuren körperlicher Gewalt störten sie nicht, im Gegenteil, sie weckten höchst angenehme Gefühle in ihr. Mit zarter Hand ergriff sie den Rührlöffel in seiner Hand und ließ ihn in der Schokoladenmischung kreisen. Dass sie dabei ihre Finger um die des Kochs legen musste, störte sie nicht.
Médoc auch nicht. Doch er entzog sich ihrem losen Griff und nahm eine der Kirschen mit einem Holzspießchen auf, tauchte sie in die Kasserolle und hob es mit einer geschickten Drehung wieder aus dem Schokoladenbad.
»Voilà, Madame. Ihr Kirschpraliné.«
Es war noch klebrig, und sie verschmierte sich die Finger, aber es schmeckte paradiesisch. Mit flinker Zunge leckte sie sich Daumen und Zeigefinger ab und ließ wieder ihre Lider flattern.
»Mandeln! Es braucht noch etwas Knuspriges. Oder Krokant«, sinnierte Médoc, ohne auf die Einladung einzugehen.
»Mandeln«, flüsterte Dotty und drückte ihren Busen an seinen bloßen Unterarm, vorgeblich um eine der Porzellandosen auf dem Bord heranzuziehen.
»Das nächste Mal«, vertröstete Médoc sie und raffte mit schnellem Griff ihre Röcke. »Jetzt bin ich an der Reihe, die von Ihnen angebotenen Leckereien zu kosten.« Und zufrieden schnaufend erkannte er, dass seine Herrin auf solche Lächerlichkeiten wie störende Unterkleider bei ihrem Küchenbesuch verzichtet hatte.
Dorothea lernte ganz neue Genüsse in den lauen Frühsommertagen kennen. Unter anderem auch das Herstellen von Mandel-Krokant-Pralinen, die der ihr angetraute Gatte besonders gerne naschte. Ein mandelsplitterchengroßer Gedanke begann sich dabei in ihrer Vorstellung festzusetzen.
Des Schnitters Ernte
Der Tod steht schon am Orte,
Wo sich ein Leben regt.
Der Tod steht an der Pforte...
Zum König wie zum Bettler
Sagt er sein letztes Du.
Matthias Claudius
»Was für ein zauberhaftes Cremedöschen!« Ich bewunderte wirklich das kleine Kunstwerk in ihrer Hand, und die elegante Dame mit den verhangenen Augen lächelte mild.
»Für Ihre wunderbare Lotion musste ich einfach ein passendes Behältnis haben, Frau Doktor Bevering. Füllen Sie es mir diesmal bitte mit der Mandelölcreme auf?«
»Aber gern, Frau von Viersen.«
Das emaillierte Silberdöschen mit dem Veilchenmuster wurde mir mit blassviolett behandschuhten Fingern überreicht. Die Gattin des Kommandanten der Deutzer Artilleriewerkstatt wirkte auf mich immer so elegisch wie ein trauervolles Reh. Sie war feingliedrig, durchgeistigt und ihr heller, makelloser Teint von blütenblattzarter Konsistenz. Doch immer trat sie untadelig freundlich auf und hatte meine Kosmetikprodukte schon an viele ihrer Bekannten weiterempfohlen. Darum reichte ich ihr auch eine Probe meiner neuesten Kreation, eine nach Verbenen und Zitronenmelisse duftende Emulsion.
»Sehr sommerlich und erfrischend an solch heißen Tagen wie heute, habe ich mir gedacht.«
Sie zog die Handschuhe aus und strich sich ein wenig davon auf die Haut. In dem Augenblick öffnete sich die Tür, und mit zerknitterter Schürze und wieder einmal aufgelösten Zöpfen stürmte Julia in das Offizin.
»Oh. Guten Tag, gnädige Frau«, grüßte sie jedoch höflich und machte einen anmutigen Knicks. Mir wurde diese Ehrenbezeigung nicht zuteil, aber ein fröhliches Lächeln erhielt ich ebenfalls.
»Lauf nach oben, Julia, ich komme nach, sowie Doktor Bevering zurück ist.«
»Ja, Frau Amara.«
»Und ein Blick in den Spiegel wäre auch sehr hilfreich, könnte ich mir vorstellen.«
»Mach ich.«
Noch einmal wehende Schürzenbänder und fliegende Röcke, und unser Pensionsgast war fort.
»Ein reizendes Mädchen. Wenn auch eine Spur zu wild«, meinte meine Kundin und sah ihr nachdenklich nach.
»Eigentlich nicht wild, sondern nur voller Lebensfreude.«
»Nun, wenn Sie mit ihr zurechtkommen... Ich werde mir noch ein zweites Cremedöschen kaufen und demnächst auch diese frische Lotion erstehen. Was habe ich zu zahlen?«
Ich nannte ihr den Preis, und als sie die Summe beglichen hatte, kam auch Anton von seinem Gang zu einem Kranken zurück, dem er selbst ein Medikament gebracht hatte. Er sah erhitzt aus und schien sich geärgert zu
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