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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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haben.
    »Ist etwas passiert?«
    »Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Nichts von Belang.« Doch seine Bewegungen sagten mir etwas anderes. Mit ziemlichem Unwillen holte er aus einem der Porzellantöpfe ein graues Pulver und schüttete es in ein Tütchen. Ich las die Beschriftung und wollte, als er das Papier zusammenfaltete, wissen: »Was ist das eigentlich, Bezoar?«
    »Ein Allheilmittel, wie man sagt. Nur frage ich mich ernsthaft, ob es bei Typhus im fortgeschrittenen Stadium noch hilft.«
    »Sie ärgern sich über Ihren Freund.«
    »Ein bisschen. Aber nun lauf nach oben. Wir haben Julia unterwegs getroffen, und mir scheint, sie bedarf deiner mütterlichen Aufmerksamkeit.«
    Anton liebte es, mich als Julias Ersatzmutter zu bezeichnen, und zugegeben, er verhielt sich ausgesprochen väterlich ihr gegenüber. Das machte mich manchmal zweifeln, ob es nicht doch besser wäre, wenn wir ein eigenes Kind hätten.
    Julia hatte sich die Haare gebürstet und eine frische Schürze umgebunden. Ich flocht ihr schnell die Zöpfe, während sie drauflosplauderte.
    »Auf dem Heimweg habe ich Doktor Bevering und den Hauindreck getroffen.«
    »Schlaginhaufn«, korrigierte ich. Melli hatte jedoch einen nicht mehr auszumerzenden Schaden angerichtet, und daher war meine Rüge nicht ganz so streng, wie sie sein sollte.
    »Er hat mich betatscht.«
    »Und du bist ihm ausgewichen.«
    »Das nächste Mal trete ich ihm mit dem Absatz auf den Fußspann«, zischte sie. »Er hat mit seinen verschwitzen Händen meine ganz lange festgehalten. Er riecht fies.«
    Igitt, konnte ich nur denken.
    »Dann wasch sie jetzt gründlich.«
    »Hab ich schon getan. Frau von Viersen ist eine nette Dame, nicht wahr?«
    »Du kennst sie?« Das verwunderte mich, aber Julia klärte mich umgehend auf.
    »Sie ist mit Papa bekannt. Wir haben sie neulich getroffen, als wir in Deutz in den Rheinauen spazieren waren.« Nachdenklich wickelte sie ein Zopfende um ihren Finger. »Das Cremedöschen...«
    »Eine sehr hübsche Arbeit. Ich habe es auch bewundert.«
    »Er hat es ihr geschenkt. Glaube ich wenigstens. Es stand zwei Tage in seinem Zimmer. Dann ist er übers Wochenende weggefahren, und danach war es nicht mehr da.«
    Aha, dachte ich, sagte aber nichts.
    »Ich habe es Mama nicht erzählt.«
    »Es ist vermutlich auch nicht wichtig. Komm, wir müssen zu Tisch, sonst verhungern die Damen Bevering.«
    Fast zehn Jahre alt war Julia, und ein Mädchen mit einem gründlichen Blick für Zusammenhänge. Natürlich war Alexander kein keuscher Mönch, und die Affäre mit dem trauervollen Reh führte er sicher mit der gebührenden Diskretion. Aber es verwunderte mich dennoch, denn Laura von Viersen machte nicht gerade einen besonders leidenschaftlichen Eindruck auf mich. Um es milde auszudrücken.
    Andererseits durfte ich mich gern an meine eigene Nase fassen.
    Eine leidenschaftliche Beziehung führten Anton und ich nun auch nicht gerade.
    Um es milde auszudrücken.
     
    Die Stimmung in der Familie hatte sich in den vergangenen Monaten etwas gebessert, entweder weil die Damen Bevering und ich uns genug aneinander gerieben hatten, um die hakeligen Stellen zu glätten, oder weil ich ihnen so konsequent aus dem Weg ging. Julia half ebenfalls, die Lage zu entspannen, denn diplomatisch, wie dieses Mädchen war, hatte sie Margarethe gebeten, ihr das Klöppeln beizubringen, was meine Schwägerin unerwartet freundlich gegen sie stimmte.
    Es hätte also alles seinen ruhigen Gang gehen können.
     
    Eine Woche später war Jan Martin zu Gast bei uns. Über seine Besuche freuten Anton und ich uns in gleichem Maße, doch hatte er sich seit seiner Rückkehr aus England grundlegend verändert. Er war schon immer zurückhaltend gewesen, doch mit wachsendem Vertrauen konnte man auch den humorvollen, geistreichen Unterhalter aus ihm herauslocken, und ich erinnerte mich an viele fröhliche, anregende oder sogar alberne Gespräche. Das war jetzt nicht mehr möglich. Er konnte noch immer über die wissenschaftlichen Themen, die er verfolgte, fesselnd sprechen. Doch alles Persönliche war hinter einer Mauer verschlossen. Es war, so weit hatte ich es von Alexander herausbekommen, etwas Tragisches im Zusammenhang mit einer jungen Irin geschehen. Guter Freund, der er war, hielt aber auch Alexander den Mund darüber, obwohl ich mir sicher war, dass er sehr genau wusste, was Jan in einen solchen Abgrund von Trauer verbannt hatte. Er schien sich mit Arbeit betäuben zu wollen. Neben seinen Tätigkeiten im

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