Göttertrank
Ereignissen zugewandt und tuschelten über den jungen Theologieprofessor Bauer, dem das Vorlesungsrecht entzogen worden war und der daraufhin im Karneval als närrischer Posaunenengel die Pietisten verspottete. Sie regten sich über die oppositionellen Töne auf, die die neu gegründete Rheinische Zeitung anschlug, deren Mitarbeiter ein gewisser Karl Marx war. Man spekulierte über den Maikäferbund, die Veranstaltungen im eben eröffneten Bürger-Casino und die Eskapaden der königlichen Studenten. Da sowohl Jan als auch Melli sich so gut wie nie gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigten, blieb der oberflächliche Schein von Sitte und Anstand gewahrt. Was sich hinter Portieren und geschlossenen Türen abspielte, übersah man in der gutbürgerlichen Gesellschaft geflissentlich. Wir lachten oft über die zwei Daseinsebenen, hielten uns aber dennoch an die ungeschriebenen Regeln. Die Jahre meiner Ehe und des Zusammenlebens mit den Damen Bevering hatten aus mir eine fast ebenso gute Schauspielerin gemacht, wie Melli es von Natur aus war.
Und das war nun leider auch der Grund, warum ich Alexander gehen ließ, obwohl es mir jedes Mal das Herz zusammenzog. Ich wollte, wenn, dann eine ehrlich und offene Verbindung, keine hinter Vorhängen und falschen Namen verborgene Liebschaft. Ob Alexander ebenso dachte, wusste ich nicht. Er verhielt sich kameradschaftlich, manchmal allerdings auch recht distanziert. Aber es gab Momente, da vermeinte ich mehr als nur freundliche Zuneigung auch bei ihm zu verspüren. Ein Wink hier, eine Andeutung da, all die kleinen Verführungskünste, die einer Frau so zur Verfügung standen, geschickt eingesetzt, würden vermutlich das schwelende Feuer hell entflammen lassen. Er war einsam, das konnte ich Julias Berichten entnehmen. Andererseits war auch das ein Grund, Zurückhaltung zu üben, denn nur mit einer aus Verzicht und Einsamkeit geborenen Leidenschaft wollte ich mich auch nicht zufriedengeben.
»Dann musst du eben leiden«, schloss Melisande meine Gedanken ab, als hätte sie sie gelesen.
»Ja, das muss ich wohl.«
»Das wird dich aber hoffentlich nicht daran hindern, den Auftrag unserer neuen Kundin zu erfüllen.«
»Haben wir eine?«
Melli grinste über das ganze Gesicht. »Sogar eine hochrespektable. Die ›Rheingräfin‹ selbst ist auf deine Schokoladentrüffel aufmerksam geworden. Sie gibt übermorgen eine Soiree und würde sie dabei gerne anbieten.«
Melli wedelte mit dem Schreiben, das uns Frau Sybille Mertens-Schaafhausen gesandt hatte. Die Rheingräfin, wie sie sich gern nennen ließ, war eine der beliebtesten Salonièren Bonns und versammelte in ihrem Haus in der Plittersdorfer Aue einen illustren Kreis von schöngeistigen Denkern, Altertumsforschern, Dichtern und Künstlerinnen aller Art. Ich kannte Damen, die sich eigenhändig auf der Straße das Korsett aufgeschnürt hätten, nur um in den Genuss einer Einladung zu diesen Gesellschaften zu kommen.
»Dann werden wir mal an die Arbeit gehen. Das lenkt mich vom Grübeln ab.«
Puschok war damit ebenfalls sehr einverstanden, denn wenn ich Trüffel zubereitete, fiel für ihn immer ein Schälchen Sahne ab. Er saß in seiner Lieblingsecke und putzte sich die letzten Tröpfchen Weißheit aus den schwarzen Schnurrhaaren, während ich die restliche Sahne mit den Vanilleschoten in einem großen Topf erhitzte. Melli bereitete in der Zwischenzeit die Eismaschine vor. Wir hatten uns vor einigen Monaten ein solches Gerät zugelegt, wie ich es damals von Giorgio in Potsdam kennengelernt hatte. Das explosive Salpetersalz handhabten wir allerdings mit allergrößter Vorsicht.
Als die Flüssigkeit ausreichend erhitzt war, nahm ich den Topf vom Feuer und gab die reine, nur mit Zucker vermischte Schokoladenmasse hinzu, bis eine cremige Masse entstand. Dann erst rührte ich die Butter unter.
»Mit Rum, mit Kirschwasser und mit Piment, schlage ich vor. Oder hat sie spezielle Wünsche geäußert?«
»Nein, das überlässt sie uns.«
Also teilte ich die Masse in drei Teile, parfümierte sie mit Alkohol und mischte das nach Zimt und Nelken duftende Pimentpuder in den dritten Topf. Zwei Töpfe blieben am Herdrand stehen, damit die Masse nicht fest wurde, die restliche Trüffelcreme rührte ich in dem Eisbehälter, bis sie die richtige Konsistenz hatte, um sie mittels einer Spritztüte zu Rosetten zu formen. Melli brachte die Tabletts mit fertigen Pralinen in den Vorratsraum, wo es zum Glück immer kühl war. Es war ein flüchtiger Genuss, denn
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