Göttertrank
nächsten Morgen.
»Sie kuren hier schon länger, junge Frau?«, fragte sie in leicht herablassendem Tonfall.
»Seit über drei Monaten genieße ich dieses reizvolle Ambiente. Der Tod meines Mannes, Richard Fink von Finckenstein, hat mich körperlich und seelisch so mitgenommen, darum hat mir mein Arzt empfohlen, diese Kur zu absolvieren.«
»Mhm«, war die einzige Reaktion darauf. Die Dame netzte die Lippen an ihrem Glas und schien mit sich zu ringen, ob sie sich dem würdevollen Ennuie ergeben oder eine Plauderei mit einer Fremden beginnen sollte.
»Man hat sein Kreuz zu tragen«, resümierte sie schließlich mit tönender Stimme. »Ich verlor meinen ersten Gatten vor vier Jahren. Just hier, in Godesberg, wohin er sich zu einer Wasseranwendung begeben wollte.«
»Es hatte nicht den gewünschten Erfolg?«, wollte Dorothea hoffnungsvoll wissen.
»Er erreichte den Ort nicht lebend. Doch lassen wir das. Mir riet man auf Grund eines melancholischen Anfalls, einige Tage in diesem Städtchen zu verbringen. Mein Gatte steht diesen neumodischen Behandlungsformen jedoch recht kritisch gegenüber.«
»So haben Sie sich denn wieder vermählt?« Mit einem sehnsüchtigen Seufzen schlug Dorothea die Augen auf. »Ach, auch ich hoffe, für meinen Sohn irgendwann wieder einen Vater zu finden.«
»Sie haben einen Sohn? Nun, das sollte Ihnen ein Trost sein.«
»Nicht im Augenblick, denn selbstverständlich wollte ich dem Kleinen die lange Reise nicht zumuten. Er weilt auf unseren Gütern im Osten.«
Von diesem Tag an plauderten die beiden Damen täglich einige Minuten miteinander, und Dotty erfuhr, dass Frau Doktor Jakob Schlaginhaufn mit einem renommierten Kölner Arzt verheiratet war. Als der gesetzte Herr eine Woche später eintraf, um sein Weib zurück in sein Heim zu holen, wurde sie ihm vorgestellt, und er erklärte sich bereit, sich ihre Krankheitssymptome anzuhören.
Mit milder Verachtung kommentierte er die Ratschläge seines Kollegen und schlug Dorothea eine vollkommen andere Therapie vor. Da die flüssigen Körpersäfte, wie er sagte, bei der Zuckerharnruhr überhandnahmen, was durch großen Durst und häufiges Wasserlassen bewiesen war, verordnete er entsprechend seiner praktizierten Lehre das Verdicken der Säfte. Das aber bedeutete eine radikale Umstellung ihrer jetzigen Diät und vor allem Ruhe, nicht Bewegung. Dickflüssige Getränke wie Kakao, purgierende, also schweiß- und harntreibende Getränke wie Kaffee und starken schwarzen Tee, fette Speisen, heiße, sprich scharfe Gewürze, das alles kam Dotty viel mehr entgegen. Sie fühlte sich nach der Einnahme einiger üppiger Mahlzeiten besser gelaunt als je zuvor.
Weit mehr aber verbesserte sich ihr Leiden, als ihr Onkel Lothar de Haye Ende März in Bonn eintraf. Ja, sie bereitete ihm einen geradezu überschäumenden Empfang, vor allem deswegen, weil er für die Dauer der nächsten zwölf Monate eine hübsche kleine Villa im Süden Bonns angemietet hatte. Er hatte vor, seine auf den weiten Reisen gesammelten Exponate dorthin expedieren zu lassen und dann mit den Herren der Universität über mögliche Verwendungen zu verhandeln. Vor allem völkerkundliche Gegenstände aus Süd- und Nordamerika, einiges auch aus den afrikanischen Ländern, hatte er anzubieten. Und vielerlei botanische und mineralogische Besonderheiten verbargen sich in den nach und nach eintreffenden Kisten.
Zu Dorotheas Erstaunen hatte ihr Onkel überhaupt keine Schwierigkeiten, sofort in die elitärsten Kreise aufgenommen zu werden. Sie hatte eigentlich immer geglaubt, alle Welt betrachte ihm mit der gleichen verächtlichen Höflichkeit, wie ihre Eltern es taten, die nur auf Grund seiner Vermögenslage den gesellschaftlichen Kontakt mit ihm aufrechterhielten. Hier zeigte sich jetzt ein gänzlich anderes Bild. Selbst zu dem illustren Kreis der Rheingräfin fand er, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu machen, sofort Zutritt.
Zu Dotty war er erfreulich freundlich und stieß sich auch nicht daran, dass sie ihre Trauerkleidung ablegte, um wieder in Gesellschaft zu verkehren. Und er erlaubte ihr, in seinem Haus zu einem kleinen musikalischen Tee einzuladen.
Da Dorothea durch ihn nun mit etlichen Damen aus Bonn und Bad Godesberg bekannt war, kam eine recht ansehnliche Gästeliste zusammen. Es sollte natürlich alles vom Feinsten sein, was ihr, die sie von den Treuhändern ihres Sohnes einen ansehnlichen Unterhalt zugestanden bekommen hatte, auch nicht schwerfiel. Eine Schneiderin, die
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