Göttertrank
höchsten Ansprüchen genügte, war gefunden, eine Modistin ebenfalls. Feinste Teesorten, Kaffee und Spirituosen hatte Lothar de Haye sowieso vorrätig, blieben noch die Teekuchen und Konfekte. Hier hatte sie sich auf die Meisterleistungen ihres Kochs verlassen wollen, doch dieser Schweinehund war, ohne Abschied und ohne eine neue Adresse zu hinterlassen, aus seiner Pension ausgezogen. Mitsamt einigen kleineren Preziosen aus ihrem Besitz.
Dorothea schnaubte vor Wut, konnte aber nichts anderes machen, als dem Rat einer hilfsbereiten Dame zu folgen, und bei der beliebtesten Konditorin Bonns die Süßigkeiten zu bestellen.
Bei Amara Bevering.
Sie knirschte mit den Zähnen, als sie die Anfrage schrieb.
Drei Tage vor der Einladung lieferte ein Bote ihr die unterschiedlich parfümierten Sahnetrüffel und die Schokoladen-Buttercreme-Schnittchen.
»Die Frau Konditorin bittet Sie, darauf zu achten, dass die Ware kühl gelagert wird«, richtete er in unterwürfigem Tonfall aus. Dotty gab ihm mit hochnäsiger Geste ein geringes Trinkgeld und füllte die Leckereien sofort in Kristall- und Silberschüsseln um, die sie im dem gut geheizten Salon großzügig verteilte. Und weil ihr das Arrangement so gut gefiel, verkniff sie es sich sogar, den einen oder anderen Happen zu probieren. An Amaras Produkten gab es nie etwas auszusetzen, egal was man sonst von ihr halten mochte. Mit einer gewissen Häme hatte sie dem Getuschel gelauscht, das über ihre einstige Konkurrentin verbreitet wurde. »Lustige Witwe«, flüsterte man und erzählte sich von wechselnden Liebhabern. Die sie aller Wahrscheinlichkeit mit ihrer Mitbewohnerin, diesem leichten Hemd Melisande, fröhlich austauschte. Kurzum – gesellschaftsfähig war die werte Amara nicht. Einmal Küchenmädchen, immer Küchenmädchen. Das gab Dorothea eine gewisse Befriedigung.
Zufrieden mit ihren Vorbereitungen ließ sie sich in einer gemieteten Droschke zu ihrem Hotel bringen, wo schon die Schneiderin zur Anprobe auf sie wartete.
Man trug Nachmittagsgarderobe, üppige Volants aus Seidentaft raschelten über den Krinolinen, hauchdünne Spitzenshawls warfen anmutige Falten, glänzend pomadisierte Ringellocken umwippten zart gepuderte Gesichter. Der Duft von Rosenwasser, Maiglöckchen oder Flieder entströmte zierlichen Batisttaschentüchlein, und unauffälliges Geschmeide schimmerte an Händen oder an den hochgeschlossenen Kragen.
Lothar de Haye hatte die Damen in seinem Haus begrüßt, verabschiedete sich aber anschließend, um die weibliche Gesellschaft sich selbst zu überlassen. Eine Harfenspielerin strich mit ihren langen, beweglichen Fingern kunstbeflissen über die Saiten ihres Instruments, in zahlreichen Vasen leuchteten Bouquets aus Frühlingsblumen, zwei adrette Hausmädchen reichten Tee, Sahne, Zucker und Zitrone herum. Das Gespräch summte und plätscherte, Silberlöffelchen klirrten leise auf dünnem Porzellan, und einige Blicke ruhten schon begierig auf den mit Pralinen gefüllten Kristallschalen.
»Greifen Sie doch zu«, forderte Dorothea ihre Gäste auf.
Ihr wurde gerne Folge geleistet.
Doch nur ein einziges Mal griff eine jede Dame zu. Manche missbrauchten sogar ihr Spitzentüchlein, um das angebissene Stück Konfekt unauffällig verschwinden zu lassen.
Dotty biss in ein Cremeschnittchen.
Und wusste.
Diese verdammte Hure hatte ihr ranziges Konfekt geschickt.
Der Lohn der Bitternis
Amara, bittre, was du tust ist bitter,
Wie du die Füße rührst, die Arme lenkest,
Wie du die Augen hebst, wie du sie senkest,
Die Lippen auftust oder zu, ists bitter.
Amaryllis, Rückert
Melli schnürte mir das Mieder, und ich japste nach Luft, als sie mir das Knie ins Kreuz drückte, um die Taille noch enger zu schnüren.
»Hör auf! Verflixt, Melli, ich bekomme keine Luft mehr.«
»Das ist der Sinn der Sache. Wir wollen dir doch die Möglichkeit geben, dekorativ ohnmächtig in die Arme eines begüterten Herrn zu sinken.«
»Nichts da, lockere die Bänder, ich habe zu arbeiten!«
Melisande gluckste, zupfte aber an den Korsettschnüren und schaffte mir Raum zum Leben.
Mit Gefühlen, die zwischen Eitelkeit und Abscheu schwankten, betrachtete ich das weiße Musselinkleid, das mit unzähligen Veilchenbouquets bedruckt war. Ein prachtvolles Gewand hing da an meinem Schrank. Der Rock bauschte sich in verschwenderischer Weite, das Oberteil war zwar hochgeschlossen, wie es sich für ein Tageskleid gehörte, doch der über dem Dekolletee liegende, mit glänzenden
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