Göttertrank
Schritt in unsere Richtung, blieb dann aber stehen, bekam einen hochroten Kopf und drehte sich abrupt um.
»Flüchtig, aha. Ich bitte Sie, die unpassende Reaktion meiner Nichte zu verzeihen. Sie ist gesundheitlich nicht ganz in Ordnung und daher manchmal etwas launisch.«
»Es ist nicht der Rede wert.«
Ich stellte ruhig mein Werkzeug zusammen und begann mit der Zubereitung eines altmodischen Kakaos, wie es meine Mutter Birte mich gelehrt hatte.
Einige Damen und Herren kamen neugierig, von dem Duft angezogen, herbei, und ich erklärte ihnen mein Tun.
»Diese Art der Zubereitung«, erklärte de Haye, als ich den Kakaoquirl der Kanne in Bewegung setzte, »hat sich erst auf dem europäischen Festland herausgebildet. Die Einwohner der südamerikanischen Länder, die als Erste die Kakaobohnen sammelten und in ihnen ein Nahrungsmittel erkannten, hatten einen gänzlich anderen Geschmack als wir heute. Den Wert der Schokolade schätzten sie aber auch auf andere Weise. Die Kakaobohnen wurden nämlich als Währung benutzt. Für dreißig Bohnen konnte man ein Kaninchen kaufen, für hundert einen Sklaven. Doch es gab auch viele Indianer, die sich keine Gedanken darüber machten und lieber ihren Kakao tranken, als reich daran zu werden.« Leises Gelächter belohnte diese Bemerkung, und er fuhr fort: »Der Konquistador und Entdecker Hernando Cortez erkannte den Wert des Kakaogeldes und ließ gleich nach seiner Ankunft in Mexiko eine Kakaoplantage anlegen, um Geld zu züchten. Aus diesem Grund blieb der Kakao während der Kolonialzeit als Währung erhalten und war als Kleingeld in loser Form von großer Bedeutung.«
Ich reichte die Tässchen mit dem aufgeschäumten Kakao an jene herum, die ihn kosten wollten, und machte mich, angeregt durch de Hayes Geschichte, daran, ein Batido anzurichten. Er beobachtete mich mit Anerkennung, als ich Chili, reine Schokolade, Vanille und eine Prise Zimt mischte und mit heißem Wasser aufrührte.
»Verfolgen Sie andachtsvoll diese Handlung, meine Damen und Herren, denn sie galt früher als eine heilige. Und mir, genau wie den alten Göttern der Mayas und Azteken, würde es sicher gefallen, dass die Priesterin, die den heiligen Göttertrank zubereitet, eine so schöne und kundige Frau wie Madame Bevering ist.«
»Schmeichler«, flüsterte ich nur für ihn hörbar, aber dennoch gefiel mir das Kompliment.
Dorothea gefiel es nicht. Ich hörte sie vernehmlich zischeln: »Sie ist nichts als ein verderbtes Küchenmädchen. Ich kann gar nicht verstehen, wie sie in diese vornehmen Kreise gelangt ist.«
Die Dame, an die diese Bemerkung gerichtet war, hielt sich ihr Lorgnon vor die Augen, betrachtete Dotty eingehend und sagte in gewöhnlicher Lautstärke, aber mit Eiseskälte in der Stimme: »Man hat noch nie etwas zu beanstanden gehabt, weder an den Produkten noch an dem gesitteten Auftreten von Frau Bevering. Sonst wäre sie ja nicht von unserer lieben Rheingräfin eingeladen worden. Sie , junge Frau, sind in Begleitung Ihres Onkels gekommen, nicht wahr? Ich zumindest habe Sie hier noch nie gesehen.«
Die arme Dorothea tat mir beinahe leid. Eine derart gekonnte Abfuhr war schwer zu verkraften. Folglich zog Dotty sich auch etwas weiter in den Hintergrund zurück und schaute unbeteiligt aus dem Fenster.
Ihr Onkel tat so, als sei nichts geschehen, und sprach weiter über die indianische Rezeptur.
»Man hatte natürlich noch andere Zutaten zur Hand, solche, die hier nicht zu bekommen sind. So gehörten die Kerne des Sapotille dazu, einer süßen Frucht mit Zimtaroma, und Achiote, so etwas Ähnliches wie eine große Hagebutte, die dem Getränk eine rote Färbung verlieh. Aber dies hier«, er nahm einen Schluck von dem scharfen, bitteren Batido, »kommt dem Original schon sehr nahe.«
Einige Damen nippten an dem Kakao und zogen schockiert die Luft ein. Zwei Herren aber schien er zu munden, sie ließen sich eine weitere Tasse davon reichen.
»Ich werde Ihnen jetzt eine mildere Form zubereiten, werte Damen und Herren, die Ihnen gewiss besser schmecken wird. Sie ist übrigens auch bei Kindern beliebt«, kündigte ich an und nahm das entölte Kakaopulver zur Hand, das ich mit der heißen Milch, Zucker, Vanille und einem Hauch Kardamom mischte. Man riss es mir förmlich aus der Hand, und mein Hinweis, ein Tröpfchen Rum würde dem Aroma nicht schaden, bescherte der Anrichte mit Kristallkaraffen einen kleinen Ansturm.
Dorothea hatte sich kein Getränk geben lassen, sie inspizierte die Pralinen und das
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