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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Junge?«
    »Mein Vater...«
    »Dein Vater trug eine preußische Uniform.«
    »Ich musste ihn warnen. Ich muss zu ihm. Ich bin schuld daran, dass er sich in Gefahr begibt. Es ist meine Schuld, dass er gefallen ist.«
    Dettering winkte dem Wirt und bat ihn um heißen, süßen Tee und ein Glas Brandy. Dann setzte er sich neben Alexander und legte ihm den Arm um die zuckenden Schultern.
    »Dein Vater war ein preußischer Offizier, vermutlich von hohem Rang. Warum auch immer du ihn auf das Schlachtfeld begleitet hast, wissen wir nicht. Aber deine Schuld ist es bestimmt nicht, dass er fiel. So viele sind sinnlos ums Leben gekommen. Trink den Tee, Alexander.«
    Den Brandy hatte Dettering passenderweise gleich in die Teetasse gegossen und achtete darauf, dass der junge Mann das Gemisch langsam austrank. Das Zittern ließ allmählich nach, und Alexander atmete tief durch.
    »Verzeihen Sie, ich wollte mich nicht so gehen lassen, Mylord.«
    »Ich habe es herausgefordert. Und nun, da wir wissen, dass du der Sohn eines preußischen Offiziers bist, werde ich alles daransetzen herauszufinden, wer der tapfere Mann war, der an diesem Tag vor sieben Jahren sein Leben auf den blutigen Feldern von Plancenoit gelassen hat. Auch ich bin einst in Preußen geboren, in der Nähe von Berlin. Ich habe noch immer Beziehungen dorthin, und auf irgendeine Weise werden wir deine Familie ausfindig machen. Wärst du bereit, deine jetzige Tätigkeit aufzugeben und zu uns zu ziehen? Ich führe ein großes Haus, Platz ist allemal da.«
    Alexander kam sich vor, als sei er im vollen Galopp von einem Pferd gefallen. Alles drehte sich, seine Gedanken tobten, doch in dem vollendeten Gefühlschaos klammerte er sich blindlings an das eine, das große Ziel, das er sich gesetzt hatte. Und darum stammelte er: »Mylord, aber ich will Ingenieur werden.«
    »Das wird sich wohl machen lassen. Ich habe Freunde bei der ›Royal Institution‹.«
    Alexander wagte noch nicht einmal zu atmen, damit dieses Traumgespinst nicht verflog.
    Es hat immer etwas Erschütterndes, am Ziel seiner Sehnsucht anzukommen.
    »Danke, Mylord!«, schaffte er es gerade noch zu flüstern, dann fiel ein selbstbewusster, starker, junger Mann ganz einfach in Ohnmacht.

Zuckerstücke
    Dieses Klagen, dieses Fragen
Sei uns Mädchen süße Pein?
Träume können sel’ger spielen,
Kindern gleich im leeren Haus,
Wenn nach unbekannten Zielen
Holde Wünsche ziehen aus?
    Mädchens Abendgedanken, Vischer
     
     
    Die Kindermädchen hatten es schwer bei den Briesnitzens. In den zwölf Jahren, die Dorothea nun zählte, hatten sich fünf junge Frauen die Klinke in die Hand gegeben. Die erste war zu nachlässig gewesen, und wegen ihrer Tändelei mit dem Gärtner wäre beinahe Dorotheas Bruder Maximilian ertrunken. Die zweite war zu rabiat mit dem Baronesschen umgegangen. Baronin Briesnitz hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie ihrer goldhaarigen Tochter die gerüschten Unterröcke hochgeschlagen und ihr eine herzhafte Tracht Prügel auf den bloßen Hintern verpasst hatte. Warum, das hatte sie absolut nicht interessiert, die Frau wurde fristlos und ohne Zeugnis entlassen. Das Dienstmädchen, das Dottys jüngsten Bruder, Eugen, der heulend in seinem Bettchen lag, hochnahm, stellte später fest, dass klebrige Honigmilch in seine Kissen gegossen worden war. Sie musste heiß gewesen sein, denn der arme kleine Kerl hatte Brandblasen auf seiner zarten Haut bekommen. Sie schwieg darüber – sie hatte ihre Erfahrungen mit der Tochter des Hauses bereits gemacht.
    Die dritte Kinderfrau hatte eine Neigung zum Branntwein, der ihr eine tiefe nächtliche Ruhe bescherte, weshalb sie die Umtriebe der beiden älteren Kinder nicht bemerkte und erst mit einigen herzhaften Ohrfeigen aus dem Schlaf gerissen werden musste, als sich Dorothea und Maximilian mit Magenkrämpfen vor Schmerzen auf dem Boden wälzten. Von den nächtlichen Ausflügen der beiden Helden in die ehemalige Zuckerfabrik hatte sie nichts mitbekommen, zumal ihr Branntwein reichlich mit Laudanum versetzt worden war, was sie aber nicht wusste.
    Die vierte Hüterin der Geschwister, eine attraktive Polin mit unaussprechlichem Namen, musste das Haus in Schande verlassen. Sie hatte den Fehler begangen, den sanften Einflüsterungen des Barons zu erliegen. Die fünfte hingegen, hässlich wie die Nacht, versuchte ihr unschönes Aussehen mit dem Schmuck der Baronin zu verbessern. Und obwohl sie auf das Heftigste leugnete, die Broschen und Ohrringe entwendet zu haben,

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